Zwei berühmte Pressefotos feiern in diesen Tagen ein Jubiläum: Robert Capas am 5. September 1936 im Spanischen Bürgerkrieg aufgenommenes Bild mit dem Titel „Der fallende Soldat“ erscheint im Sommer darauf in der wichtigsten Zeitschrift – „Life“ – und geht um die Welt: Ein Milizionär auf Seiten der Republik, im Kampf gegen Francos Faschisten, fotografiert in dem Moment seines Todes. Obwohl es Zweifel an der Authentizität dieses Fotos gibt, berühmt ist es allemal, ebenso wie das von Bernard Larsson vom 2. Juni 1967 in West-Berlin: der während einer Demonstration gegen den Schahbesuch von Polizeibeamten erschossene Benno Ohnesorg liegt blutend auf der Straße. Zwei Fotos, die sich wie Ikonen ins Gedächtnis eingebrannt haben.
Vielleicht ist es auch das, was die zahlreichen Pressebilder von den Krisenherden dieser Welt rechtfertigt: Die erschütternde Momentaufnahme, mit der Menschen der Spirale von Krieg und Gewalt entrissen werden. Wie viele JournalistInnen auf dem gesamten Globus gegenwärtig noch unterwegs sind, um die Schrecken dieser Welt einzufangen, das zeigt die World Press Photo Ausstellung.
Bis zum 28. Mai können im Dortmunder Depot über 150 preisgekrönte Pressefotos betrachtet werden. Aus 80.000 Einsendungen wurden Aufnahmen verschiedener Rubriken ausgewählt: Naturaufnahmen, etwa von Tieren, die vom Aussterben bedroht sind. Oder spektakuläre Sportfotos wie ein blitzschneller Usain Bolt, der seinen Kontrahenten im Sprint enteilt und frech zurück grinst.
Ausgestellt sind vor allem aber Reportagen, für die FotografInnen an die Brennpunkte dieser Welt gereist sind. So fehlt auch nicht das 2016 ausgezeichnete Pressefoto des Jahres, „Attentat und Ankara“: Der Wachmann Mevlut Mert Altintas hält in der Kunstgalerie Ankara moralisch einen Zeigefinger nach oben und schreit Parolen. In der anderen Hand hält er die Waffe, mit der er gerade eben Andrej Karlow, den russischen Botschafter in der Türkei, erschossen hat. Drückt der türkische Fotograf Burhan Ozbilici damit den Hass in unserer Gesellschaft aus, wie die Jury im letzten Jahr begründete? Oder inszeniert er spektakulär einen Attentäter als Ikone?
Von diesen ethischen Fragen bleiben auch heutige Pressefotos nicht unberührt. Aber sie sorgen für Aufmerksamkeit. Das gelang auch Jonathan Bachman im letzten Jahr mit einem Bild aus Baton Rouge in den USA: Eine dunkelhäutige Frau, die 27-jährige Iesha Evans, steht im Sommerkleid auf der Straße, während zwei Polizisten in voller Kampfmontur auf sie zuschreiten. Dahinter reiht sich martialisch eine Polizeikette. Aufgenommen wurde das Foto während einer Demonstration anlässlich des Todes von Alton Sterlin, der am 5. Juli aus nächster Nähe von Polizisten erschossen wurde. Mittlerweile steht es symbolisch für den friedlichen Protest gegen den alltäglichen Rassismus in den USA.
Doch die FotografInnen richteten ihre Objektive im letzten Jahr nicht zuletzt auf die Ereignisse in Syrien und Irak, in der Ukraine oder an den EU-Außengrenzen. Zu Momenten verdichtetes Grauen: Menschen, die Explosionen und Feuer zu entrinnen versuchen. Zwei junge nigerianische Flüchtlinge in einem Lager, die weinen, aber sich umarmen, als möchten sie sich selbst trösten. Blutverschmierte Kinder in einem syrischen Krankenhaus. Die fünfjährige Maka, die in einem Flüchtlingslager von ihrer Mutter getröstet wird, mit ihrer Hand auf der Stirn mit großen, leeren Augen blickt, als würde sie nur fragen, was denn diese brutale Erwachsenenwelt ihr da zum Teufel zumuten will. Und so vermitteln diese Fotos wie damals diejenigen Capas vor allem eins: Sprachlosigkeit.
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