Die Fotografische Abteilung im Folkwang schickt Besucher zurzeit auf Weltreise: in 360 Bildern rund um den Globus! Ein raumgreifendes Wandtableau mit markanten Bauten und Stadtarchitektur aus allen Kontinenten weckt Fernweh.Die italienische KonzeptkünstlerinDaniela Comani reihte Schwarz-Weiß-Postkarten auf fünf meterlangen Bilderleisten auf, dicht an dicht, alle im Hochformat und aus schräger Vogelperspektive fotografiert. Fotografiert? Schon im Vorraum der Schau entsteht der Verdacht, dass mit diesen Bildern etwas nicht stimmt: Zwei Inkjetdrucke, auf Postergröße aufgepumpt, entlarven sich als verpixelte Screenshots.
Daniela Comani ist nicht mit Kamera um die Welt gejettet, sondern reiste am heimischen Rechner. Ihre Motive fand sie auf Apple Fly-over und Google Earth und sammelte Weltarchitektur, die zwischen 2015 und 2019 in 3D verfügbar war. Mir scharfem Blick auf die Motive entdeckt man mitunter die bekannten Unschärfen digital zusammengesetzter Luftbilder. Dass Comani für ihr Archiv auf das gute, alte Ansichtskartenformat zurückgreift, ist ihr künstlerischer „Trick“, der wider besseren Wissens dazu verleitet zu glauben, dass dies authentische Fotodokumente sind. Die Bilderreise reizt dennoch. Man schaut, staunt, rätselt, rutscht unweigerlich in den Quiz-Modus: Welche Stadt ist das, welches Bauwerk? Die Auflösung liegt auf dem Tisch, mitten im Raum: Ein Ordner mit allen Bildkarten in Klarsichtfolie in derselben Reihenfolge wie an der Wand, die Kartenrückseiten nennen Ort und Motiv. Und decken die Anordnung auf: nach Stadtnamen von A bis Z. Daniela Comanis Arbeitsweise ist auch in anderen ihrer Werke enzyklopädisch geprägt.
Da eine einzelne Wandarbeit noch keine Ausstellung macht, hat man der Neuerwerbung der Folkwang-Sammlung noch einige ältere Fotoserien aus dem Depot beigesellt, die entfernte Ähnlichkeiten aufweisen: Fotografien von Menschen, Bauten, Stadtverkehr, konzeptionell, analog, teilweise Luftaufnahmen. Doch die Auswahl wirkt reichlich beliebig. Mit einer Ausnahme: Acht hochauflösende Aufnahmen vonEdouard Denis Baldus,der um 1850 seine Großformatkamera vor bedeutende Monumente wuchtete, um mit damals modernster Technik Stadtbilder festzuhalten. Die konzentrierte Gegenüberstellung von Baldus Werk mit Comanis WWW-Bildarchiv wäre schlüssiger gewesen.
Planet Earth: 21st Century | bis 11.6. | Museum Folkwang Essen | 0201 88 45 000
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