Endlich mal eine Vision fürs nächste Jahrzehnt und gegen diese kulturellen Quertreiber? Das Motto der neuen Spielzeit am Grillo in Essen heißt: „Alles Um$onst“. Grinsen sie nicht. Da steht nicht „War alles umsonst“ und auch nicht „Gibt alles umsonst“. Und: Intendant Christian Tombeil hat hinter diesen sinnigen Satz im Programm schnell ein NEIN mit Ausrufezeichen geschrieben. Irritieren soll das Motto, denn „umsonst“ war Theater niemals zu haben. Schon klar. Die Frage ist, was macht das mit mir? Das gleiche wie die Frage nach der Henne oder dem Ei? Macht das Sprechen über meine Gefühle und das Finden der richtigen Worte die Gefühle intensiver? Diese Fragen stellt sich das Theater in Oberhausen noch bevor die diesjährige RuhrTriennale beendet ist. Auch Werther, der fiktive Autor von Goethes Briefroman steht vor einem Berg von Fragen. Soll er oder soll er nicht? Will er oder darf er nicht? Werther gilt als der erste Popstar des Kulturbetriebs. Sein Kleidungsstil, blauer Frack und gelbe Weste, war stilprägend und bis heute hält sich der Mythos, dass sein Vorbild kurz nach Erscheinen des Romans 1774 eine handfeste Suizidwelle unter liebeskranken Jugendlichen ausgelöst haben soll. Nun ja, so weit wollen wir mal nicht gehen, das meiste heute ist eh virtuell und mit einem Smartphone hat sich noch niemand… Oder?
Passend dazu heißt es im Dortmunder Theater: „Im Studio hört Dich niemand schreien“. In das kleine Theater haben Jörg Buttgereit und Anne-Kathrin Schulz also das Alien gebeamt? Nein, es geht wohl mehr um Snuff Videos (und deshalb ist der Abend erst ab 18 Jahren erlaubt) und Peter Strickland und Dario Argento, dem Mit-Erfinder des italienischen Giallo. Er hat den modernen Horror- und Slasher-Film in der vergangenen Jahrzehnten stark beeinflusst, der Berliner Horrorfilmemacher Buttgereit packte ihn ästhetisch großartig und inhaltlich sinnvoll auf die Bühnen. Wie immer fängt alles harmlos an. Es scheint ein Job wie jeder andere: Geräuschemacher Maximilian Schall erhält einen Anruf vom visionären Schmuddelfilmer Dario Winestone, der ihm ein kleines Vermögen bietet. Der Auftrag: Schall soll Winestones frisch abgedrehtes Filmmaterial nachvertonen, denn die Tonspuren sind einfach in die Hose gegangen (das wird ausdrücklich nicht gezeigt). Böse Standard-Filmmusik für solche Fälle: Foltern, quälen, töten, da helfen nur Melonen, Gurken und lustvoll im Mixer gequirlte Tomaten. Doch schnell verwandelt das Audio-Virtuelle im Kopf die Handlungen im Film zu einem großen Fragezeichen.
Mit dem kämpfen auch der einzige Hotelgast und das Personal in Horváths Hotel „Zur schönen Aussicht“. Das Personal dort hat sich quasi von der Außenwelt isoliert, lebt in einer Scheinwelt, in der alle Grundwerte einer liberalen Gesellschaft fallen. Das Drinnen wird zum Synonym für Draußen, wo auch niemand dem anderen irgendetwas gönnt. Das Heer der Egoisten prügelt sich um jeden Vorteil. Im Hotel ist das nicht anders. Ödön von Horváth läßt soziale Klassen und Lebensmodelle aufeinanderprallen, Ulrich Greb inszeniert im Moerser Schlosstheater einen Hamsterkäfig mit Spiegeln.
„Im Studio hört Dich niemand schreien“ | ab 16.9. 18 Uhr | Theater Dortmund | www.theaterdo.de
„Zur schönen Aussicht“ | ab 21.9. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | www.schlosstheater-moers.de
„Die Leiden der Jungen (Werther)“ | ab 21.9. 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | www.theater-oberhausen.de
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