Das Erdgeschoss der Kunsthalle Recklinghausen wirkt mit jeder Ausstellung anders. Bei der aktuellen Schau SAGA erscheint der Raum niedrig, die Balken der Decke und der Steinfußboden kommen überdeutlich zur Geltung. Ob es daran liegt, dass Sigurdur Gudmundssons Häuschen aus schwarzem Granit mit den bronzenen Wildtieren schwer ruhen und dahinter Cindy Sherman's riesige Fotoarbeit bis unter die Decke aufgebockt ist, die sie in einem Chanel-Kostüm vor der kargen Vulkanlandschaft Islands zeigt? Schon diese Werke sind Statements zur Kunst in Island, wie sie hier als Thema der Kunstausstellung der Ruhrfestspiele vorgestellt wird. Es geht um Natur und Landschaft, das Unberührte und die Sagenwelt. Auch die Erzähltradition mit den überlieferten Mythen und der herausragenden Literatur spiegelt sich in den Kunstwerken wider. Sie könnte auch die Basis von Erró‘s Malerei sein. Der in Paris lebende Maler gehört zu den wichtigen europäischen Vertretern der Pop-Art und beherrscht einen plastischen Realismus ebenso wie eine comicartige Flächigkeit. Er konfrontiert unterschiedliche Ereignisse miteinander und reagiert mit seiner Bilderfülle auf die zunehmende Informationsflut seit den 60er Jahren.
Aus einer ganz anderen Zeit stammt „Lokis Streit“ (1919-20) von Jóhannes S. Kjarval. Zu sehen ist ein Ereignis aus der Edda-Dichtung. Thor droht dem intriganten Loki, ihn für seine Beleidigungen bei einem Festmahl der Götter zu erschlagen. Man muss die Hintergründe dieser symbolistischen Malerei nicht zwingend kennen, um sich in das Bild zu vertiefen. Ähnlich verhält es sich mit dem frühesten Werk der Ausstellung, „Tal von Thingvalla“ (1862) des Frankfurter Malers Johann Heinrich Hasselhorst. Das Panorama-Bild der unbesiedelten Region, in der die nordamerikanische und die eurasische Erdplatte aufeinanderstoßen, zeigt den Ort der Mythen zur Entstehung Islands und betont die Gleichzeitigkeit von reiner Naturwahrnehmung und naturwissenschaftlicher Erkenntnis.
Dass die besondere Lage Islands, das Abgeschiedene inmitten des Meeres, die Bewusstheit von Traditionen und Riten und die zerklüftete, oft unberührte Landschaft eine besondere Atmosphäre mit sich bringen, demonstriert diese Ausstellung ebenfalls. Etliche der Beiträge halten eine feine Balance zwischen Schwerelosigkeit und Verbundenheit mit der Erde, auch unter den jüngeren Generationen. Dies betrifft etwa die symbolischen Gemälde von Helgi Thorgils Fridjónsson, der mit weichem Licht nackte Menschen modelliert, die im Einklang mit Tieren und mit Pflanzen stehen. Der Himmel seiner Bilder nimmt viel Raum ein, Fridjónsson schafft hier sozusagen paradiesische Verhältnisse. Dagegen steuert Olafur Eliasson an. In seinem Foto-Tableau zeigt der weltbekannte, in Berlin lebende Künstler Geländefahrzeuge, welche in den isländischen Gewässern stecken geblieben sind. Er demonstriert die Macht der Natur. Und vielleicht spricht seine Arbeit ein Scheitern im weiteren Kontext an, „geschaffen in dem Augenblick, als Island von der härtesten Wirtschaftskrise seiner jüngeren Geschichte getroffen wurde“, wie Norbert Weber im Katalog schreibt.
Wie ein überzeitliches Korrektiv dazu – und doch daran anschließend – tritt Björk in der Ausstellung auf. In einem Oktogon sind interaktive Monitore eingelassen mit veränderlichen Konstellationen aus Zeichen und Licht im Dunkel, die an Sternbilder erinnern. Neueste Technik trifft auf archaische Vorstellung. Dazu ist Björks Gesang zu hören: betörend und einfach, in Verwandtschaft zur isländischen Volksmusik und, im Rekurs auf eine mittelalterliche nordische Prophezeiung, die Entstehung der Welt schildernd. Natürlich gibt es in Recklinghausen noch weitere aufregende Beiträge zu sehen – selten war es so schwer, eine Ausstellung wieder zu verlassen.
„SAGA – Wenn Bilder erzählen. Kunst aus Island“ | bis 6.7. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
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