Alles fließt, die Zustände sind eben alles andere als fest, eine feste Größe im artifiziellen Universum für Video und zeitbasierte Kunstformen ist die Videonale im Bonner Kunstmuseum. Some Facts des Festivals mit anschließender Ausstellung im White Cube: 31 internationale künstlerische Positionen rangen in der 18. Ausgabe um den mit 5.000 Euro dotierten Videonale-Preis der Fluentum Collection 2021. Inzwischen ist das Genre ziemlich mutiert. Rauminstallationen, Rauminterventionen, die Präsentation der bewegten Bilder selbst wird zum Gegenstand dramaturgischer Prozesse, sie müssen sich integrieren in eine eigens für die Ausstellung konzipierte Architektur der Berlinerin Ruth Lorenz, die, so sagt sie selbst, „in dekonstruierten Räumen neue sensorische Erfahrungen“ generieren und so das Kunstmuseum aus den Angeln heben will. Der Zustand der Welt werde so zu einer komplexen Erzählung, ergänzt Tasja Langenbach, die künstlerische Leiterin der Videonale. Gefilmt hätten diese Geschichten nicht nur bekannte, sondern insbesondere junge Videokünstler, schließlich sei es ein Festival für den künstlerischen Nachwuchs und immer seien auch echte Weltpremieren darunter.
Schräg geneigte Bildschirme und rote Streben durchziehen den ersten zentralen Raum, der sechs Arbeiten präsentiert, darunter das wohl kürzeste Musical von Adam Castle. „Lupi Lupi Lu“ (Einkanal-Video, 2019) thematisiert in 5:20 Minuten seine Diagnose der tückischen Auto-Immunkrankheit „Lupus“ (lateinisch „Wolf“ – und genauer: systemic lupus erythematosus), die er seit zehn Jahren vorsätzlich ignoriert und sich nun in skurrilen Bildern von zwei singenden und tanzenden Protagonisten in Tierkostümen eher poetisch denn akademisch annähert.
Mit Leid und Freud und Visionen einer Welt, in der ein klar gesetzter Körper nicht mehr der Standard sein muss, beschäftigt sich das Videonale-Preis-Siegervideo von Che-Yu Hsu. Er erzählt die Geschichte von Chang Chung-Jen und Chang Chung-I. Sie waren die ersten siamesischen Zwillinge, die in Taiwan chirurgisch vom Bauch abwärts getrennt wurden. „Zwei Köpfe, vier Hände und drei Beine“, sagt Chang Chung-I im Video „Single Copy“ (21:17 Min., Einkanal-Video, 2019) selbst. Zwischen Realität und Fantasie wechseln die Lebenslinien der beiden, in die Leben und Tod, Körperabformungen und verlorene Gliedmaße auch die unerfüllte Suche nach perfekten Ebenbildern und vielleicht auch Klonen implementiert ist.
Durch die künstlerische Versuchsanordnung, die Welt in der wir leben immer wieder neu zu denken, ist auch diese Videonale sehr gesellschaftspolitisch geworden und zwingt unseren Blick auf gequälte Umwelt und die nebelige Vision einer anders formulierten technologischen Zukunft. Ein überaus kunstvolles Beispiel sind die Videos von Viktor Brim, der in „Dark Matter“ (20 Min., 4K Einkanal-Videoinstallation, 2020) eine dunkelgraue Diamantmine im Nordosten Sibiriens dokumentiert und dafür seine Kamera unendlich langsam und schier bodenlos in ein reales „schwarzes Loch“ stürzen lässt.
Videonale.18 | bis 18.4. | Kunstmuseum Bonn | Besuch mit vorheriger Anmeldung, ab 16.3. | 0228 69 28 18
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