Die Zeit rast. Und sie ist mit Monotonie und Zwang gefüllt. Daher nehmen sich die AkteurInnen alle diesen Moment. Sie stehen kurz Schlange. Um auf diesem Schaukeldelphin sitzen zu können, der eigentlich nur nach vorne und wieder zurück kippt. Aber dieser Spieltrieb fegt für den einen Moment das Leistungsprinzip weg. Bis wieder ein vages Ereignis am Horizont erscheint. Um exakt 21.21 Uhr soll es soweit sein. „Es wird passieren!“ Das raunen die SopranistInnen an diesem Abend gebetsmühlenartig.
Während im Hintergrund eine große Uhr den Takt vorgibt. Genau an der Stelle, an der zuvor eine idyllische Landschaft projiziert wurde. Bis jene, schöne, neue Arbeitswelt einbricht, die das KGI bei diesem Premierenabend besingen lässt. In Kooperation mit dem Ringlokschuppen Ruhr und dem Gelsenkirchener Musiktheater im Revier hat das Büro für nicht übertragbare Angelegenheiten eine Oper entwickelt, die den Sound der Schufterei auf die Bühne bringt.
Und das beginnt an diesem Abend so: BürgerInnen aus Gelsenkirchen und Mülheim betreten zunächst die Bühne in Kostümen, die aussehen, als wären sie aus dem Kleidertausch einer Oper gefischt. Manche tragen ein Geweih auf dem Haupt, andere einen Bärenkopf. Arbeitstiere sind sie ja – wider Willen natürlich. Ob Pflegekraft, Kauffrau oder Paketzusteller, wie sie sich vorstellen. Entscheidend ist das nicht, denn heute spielen sie aller in dieser partizipatorischen Oper mit.
„Und jetzt alle!“ wirft zunächst eine beschauliche Idylle an die Leinwand, die schließlich einem düsteren Loch weicht, mit dem ein Apparat Einzug hält, den niemand so wirklich verorten kann. Und der doch den Lebenstakt vorgibt: Aufstehen. Arbeiten, Schlafen und wieder von vorne. Das Immergleiche der Arbeitsmarkt-Logik dekonstruieren sie in den Arien, die sie in dieser knapp 104 minütigen Inszenierung wiederholen. Gemäß dem schönen Heiner Müller-Zitat, das im Begleitheft abgedruckt ist: „Jeder Gesang enthält ein utopisches Moment, antizipiert eine bessere Welt. Wenn alles gesagt ist, werden die Stimmen süß.“
Um die Opernform spielerisch zu erkunden, wurde die Laiengruppe von zwei professionellen SängerInnen unterstützt. Die Komponisten Moritz Anthes und Rasmus Nordholt-Frieling entwarfen zudem eine Partitur. Dass diese zuweilen wie ein verspielter Synthesizersound-Teppich klingt, passt umso besser zu den Arien, welche die AkteurInnen posaunen, während sie den Boden polieren, putzen oder hochdruckreinigen: Es sind Redensarten wie „Nur die Harten kommen in den Garten“, „den Gürtel enger schnallen“ oder das knackend-konkrete Kompositum „Knochenarbeit“.
In diesen Sätzen destilliert die Leistungs- und Konkurrenzwelt fast beiläufig zu Sprache. In dadaistischer Tradition lassen KGI den (vermeintlichen) Rationalismus dieser Sentenzen spielerisch auflösen. Dazu gehören auch Platitüden, die dem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder einst einfielen: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Oder Floskeln, wie sie in Betriebsgesprächen fallen: „Andere schaffen das doch auch!“ Es ist die Sprache, mit der den „kleinen Leuten“ das Fürchten gelehrt wird – damit sie arbeiten und morgens wieder aufstehen. Indem KGI diese Sätze in ihrer Groteske aus ihrem brutalen Kontext reißt, weicht auch die Furcht vor diesen Sprechakten. Oder spendet zumindest Trost, wenn zum Ende die Fahnen mit dem Logo des Arbeitsmarktes geschwenkt werden und zum Finale alle ein Wort bibbern, poltern, hauchen oder winseln, das reguläre ArbeitnehmerInnen wie kein anderes fürchten: Montag.
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