„Lasst uns schwindeln! Lasst uns bluffen! Lasst uns faken! Lasst uns flunkern und mogeln!“ So hieß es im Editorial des goldglänzenden Programms der „FAVORITEN 2016“, dem „besten Festival der Welt“. Ein „Blendwerk“ sollte erschaffen, Theater glitzernd und glänzend in den öffentlichen Raum geholt und den Grenzen zwischen Performance und Realität beim Verschwimmen zugeschaut werden. Holger Bergmann und Jörg Albrecht, die diesjährige Leitung der FAVORITEN, hatten sich ordentlich was vorgenommen und das Festival im Vergleich zur letzten Ausgabe vollkommen neu gestaltet. Die wohl größte und kontrovers diskutierteÄnderung war die Wiedereinführung des Wettbewerbs und damit der Preise, ganz klassisch ausgelobt von einer ExpertInnenjury.
Nach 10 Festivaltagen mit einem überquellenden Programm stellt sich nun die Frage, was sich denn eingelöst hat von all den Versprechen, die so selbstbewusst in das Dortmunder Unionsviertel hineinbehauptet wurden. War es das „beste Festival der Welt“? Einfach mit „Ja“ oder „Nein“ lässt sich das nicht beantworten, zu komplex war der Aufbau, zu avanciert die Grundannahme des Festivals, die – genau wie unsere heutige Welt – wenig Raum lässt für schwarz oder weiß.
Die PreisträgerInnen dieser Ausgabe hatten jedenfalls ihren großen Moment, als sie ihren Namen bei der Preisverleihung hörten, immerhin waren die drei Hauptpreise jeweils mit 10.000,- Euro dotiert. Die Jury hat sich mit der Gruppe „Monster Truck“, dem mix-abled Kolllektiv „dorisdean“ und der „Ben J. Riepe Kompanie“ für Gruppen entschieden, die alle einen starken NRW Bezug haben. Somit hat das Festival eine entscheidende Aufgabe erfüllt: Die junge, freie Theaterszene NRWs zu fördern. Insgesamt war das Festival eine gute Mischung aus prominenten Namen (wie dem Choreographen Jerome Bel oder der Gruppe „hofmann&lindholm“) und Newcomern wie „KGI“ oder „Sir Gabriel Dellmann“.
Was sich ebenfalls erfüllt hat, ist der erklärte Wunsch der Leitung, das Festival nicht nur im kleinen, erlesenen Kreis zu zelebrieren, sondern es zum Viertel hin zu öffnen. Der entscheidende Coup war das Festivalzentrum: Ein nostalgischer Autoscooter auf der Freifläche vor dem Dortmunder U, der eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausgeübt und Menschen zusammengebracht hat, die sich sonst vielleicht eher nicht begegnen – und wenn es auch nur im fröhlichen Gegeneinanderkrachen im Scooter stattgefunden hat. Ein weiterer Kommunikations-Anheizer war gewiss die „Refugees Kitchen“ (initiiert von „kitev“, kurz für „Kultur im Turm e.V.“), die die FestivalbesucherInnen für 10 Tage mit famosem exotischen, z.B. syrisch-afghanisch-eritreischen Essen versorgt und darüber hinaus den mit 5.000,- Euro dotierten Publikumspreis abgeräumt hat. So manch einer mag da geschluckt haben, dass kein reines Kunst- sondern ein tendenziell soziales Projekt diese Auszeichnung erhalten hat. Doch auch das passt zur Losung des Festivals: Kunst ist alles, was sich als Kunst bezeichnet. Passend dazu: Wer sagt eigentlich, dass ein Publikum nur im Zuschauerraum zu sitzen hat? Auf diesem Festival konnte sich das Publikum in einem Großteil des Inszenierungen nicht zurücklehnen, sondern musste aktiv im Geschehen mitmischen. Ob beim Audiowalk im „Glitzern der Welt“ („kainkollektiv“), beim Stadtspaziergang des „Fassbinder Fight Club“ („copy and waste“) oder als Teil der Diskussionsrunde bei der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ („pulk fiktion“): Das Publikum wurde ganzheitlich heraus- und durchaus auch überfordert.
Schon die Auswahl zwischen all den Filmen, Installationen, Theaterarbeiten und Diskussionen fiel schwer und eine gewisse Unübersichtlichkeit des Programms ist nicht zu leugnen. Wobei dies sicher zum Konzept gehört hat – nämlich die maximale Unübersichtlichkeit der Welt und all ihren falschen Glanz in 10 Festivaltage zu übersetzen. Ein Wermutstropfen dieser schillernden Festivaltage ist leider eine gewisse Inkonsequenz in der Ankündigung. Der Titel „das beste Festival der Welt“ stand nie einfach und selbstbewusst da, sondern wurde uns immer wieder in Texten erklärt, fast gerechtfertigt. Die Lüge wurde immer als solche erkennbar gemacht. Die Umbenennung der Orte (die Aula des Berufskollegs wurde z.B. zum „Showspielhaus“, der Union Gewerbehof zum „Ausmalsaal“) war immer als solche deutlich. Aber ist eine Lüge überhaupt noch eine, wenn sie markiert wird? Den Mut zu haben, sich die Praktiken des Neoliberalismus während der Festivaltage noch konsequenter anzueignen, zu lügen was das Zeug hält, hätte die Festivalplanung selbst zur Kunst erhoben.
Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Dem Festival ist es sogar gelungen, die Preisverleihung in eine skurrile und tanzbare Veranstaltung zu verwandeln. Die Gruppe „matthaei & konsorten“ gaben hier den Gründungs-Startschuss für ihr neues Einjahres-Projekt „coop 3000“: ein Tanzlehrer domestizierte die wilde freie Szene in großer Runde zu Walzer-Tanz, Chachacha und Tango. Tränen bei den PreisträgerInnen und goldene Luftschlangen, dazu Sekt aus Coffee-to-go Bechern und ein wunderbar gemischtes Publikum. So endete das Festival mit den Worten, die auch seinen Anfang bzw. das Ende seines Programmbuchs bildeten: Let's Gold.
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