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Fanti Baum ((l.) und Olivia Ebert (r.)
Foto: Kathi Neuhaus / Ahoi-Magazin Dortmund

„Arbeiten, die nur in der Freien Szene hätten entstehen können“

26. Juli 2018

Fanti Baum und Olivia Ebert über fav18 – Performance 08/18

Immer an der Schnittstelle von Kunst, Kulturtheorie und Gesellschaftspolitik. Das Favoriten-Festival agiert 2018 mit der künstlerischen Leitungs-Doppelspitze Fanti Baum und Olivia Ebert.

trailer: Eine Frage, die ihr selbst gestellt habt: Wie kann sich Darstellende Kunst politischen wie ästhetischen Leitkulturen verweigern?
Fanti Baum (FB): Wir versuchen das mit den künstlerischen Positionen im Programm zu beantworten. Ein wichtiges Beispiel ist die Arbeit von Tarek Atoui. Es gibt Wahrnehmungsweisen, die nicht auf den Sehsinn ausgerichtet sind. Da geht es darum, wie man durch Hören anders wahrnehmen kann. So wird man vom eigentlichen Modell des Theaters als Schauanordnung aufs Hören umgelenkt. Und Tareks Frage ist: Wie kann man Musik und Sound wahrnehmen, wenn man nicht hören kann? 
Olivia Ebert (OE): Uns interessiert, welche politischen Momente in solchen ästhetischen Herangehensweisen liegen. Es gibt aber auch viele Arbeiten im Programm, die – das mag mit der gesellschaftlichen Situation zu tun haben – politisch zu lesen sind, ohne dass wir das von unserer eigenen Interpretation hinzufügen müssten. Es gibt zum Beispiel die Eröffnungsproduktion vom Bochumer kainkollektiv zusammen mit OTHNI aus Kamerun, die sich mit Fragen des Erbes, der Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus beschäftigt und dazu eine multimediale Oper entwickelt. Da ist viel Musik im Spiel, die Schauspielerinnen aus Bochum und aus Kamerun agieren zusammen auf der Bühne und zeigen uns ihre eigene Perspektive auf das Verhältnis zwischen Kamerun und Deutschland. 
FB: Ein anderes Beispiel ist die Arbeit von Claudia Bosse, wo es darum geht, dass sehr unterschiedliche, sehr streitbare Stimmen hörbar werden. Das Libretto ist entstanden mit Verweis auf politische Ereignisse und umfasst sehr unterschiedliche Stimmen, mit denen man durchaus überhaupt nicht einverstanden sein kann. Das verweigert sich einer bestimmten Leitkultur, der alle zustimmen können.

Reden wir über soziale Wirklichkeit. Kann es sein, dass sich der „Club der Söhne“ – das ist ein Zitat aus „Metropolis“ – längst wieder gegründet hat und die Erde als ewigen Garten genießt, während wir täglich roboten müssen?
OE: Ich glaube, dass es Gestaltungsspielraum gibt. Und diesen Gestaltungsspielraum sehen wir auch im Theater oder in den Künsten. Viele Künstlerinnen und Künstler wollen aktiv an der gesellschaftlichen Wirklichkeit mitgestalten, sie wollen in ihren Produktionen bestimmte aktuelle Themen verarbeiten. Aber Kunst ist auch immer ein Freiraum, um Unerwartetes, Unzeitgemäßes, Abseitiges aufzugreifen und wieder neu zu fokussieren. So kann sie einen Kommunikationsraum eröffnen, in dem soziale Realitäten und Bühne in Dialog treten.

Kommen wir auf die Arbeit von Schorsch Kamerun: Gentrifizierung als Event? Ist das eine Lösung oder ein Missverständnis?
OE: Genau wie andere künstlerische Arbeiten verbleibt Schorschs Arbeit in ihrer künstlerischen Welt. Sie setzt nochmal einen anderen Fokus auf soziale Realitäten. Mitten im Ruhrgebiet, wo Gentrifizierung noch kein Thema ist oder sogar positiv als Strukturwandel angestrebt wird, behauptet Schorsch Kamerun den Dortmunder Norden als hippes Trendquartier. Er will mit seiner Aktion auch die Kulturakteure ansprechen, um zu reflektieren, was tragen wir als Künstler eigentlich zu einem Prozess der Gentrifizierung bei, so wie er es in Hamburg mit seinem Golden Pudel Club erlebt hat.
FB:Das macht er ja auch höchst ambivalent. Es ist ja auch eine total verrückte Behauptung, mit der man eigentlich gar nicht einverstanden sein kann. Mit diesem Hamburger Hintergrund führt er da etwas nach Dortmund ein, wo man zunächst nicht weiß, ob man dem trauen kann, was da passiert und ob das was Positives oder Negatives ist.

„Wie kann man Musik und Sound wahrnehmen, wenn man nicht hören kann?“ – Tarek Atoui: „Within“, Foto: Thor Brodreskift

Hat das Kulturelle/Künstlerische überhaupt noch eine Zukunft, oder wird die Folklore wieder übermächtig?
OE: Wenn es nach der AfD-Kulturpolitik ginge, dann müssten ja die Theater-Spielpläne und die Festivals vor allem mit Traditionen und Folklore, von einer bestimmten Vorstellung von Deutschsein oder Heimat gefüllt sein. Da das momentan sehr stark die kulturpolitische Debatte bestimmt, stehen wir auf der Seite der künstlerischen Experimente, der Freiheit, der vielfältigen Möglichkeiten, der diversen Stimmen. Da gibt es ganz aktuell die Brüsseler Erklärung, die schon von einigen tausend Menschen unterschrieben wurde, und die angesichts dessen, was da an rechten kulturpolitischen Forderungen gestellt wird, unsere freiheitliche Vorstellung von Gesellschaft und Kunst stark machen.

Wo liegen die Stärken eines Festivals von freiproduzierenden Darstellenden Künstlern?
FB: Es gibt beim Favoriten Festival viele Arbeiten zu sehen, die nur in der Freien Szene hätten entstehen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit „Surround“ von Overhead Project. „Surround“ wurde von einem Akrobaten-Duo und zwei Tänzerinnen erarbeitet und dieses Projekt führt ein sehr spezifisches Zirkuswissen in das Theater ein. Dieses Wissen betrifft zum einen die Körper, aber auch technisches Wissen, wie man beispielsweise mit dem Theaterraum umgehen kann. Uns hat das vor eine große Herausforderung gestellt, weil wir vor der Frage standen: Wo in Dortmund gibt es einen Raum, der sieben Meter hoch ist und die Punkttraglast von einer Tonne hat, damit ein Pauschenpferd an der Decke hängen kann? Eine Theatermacherin käme vielleicht nicht so einfach auf die Idee ein Turngerät an die Decke zu hängen und das als Hauptelement einer Inszenierung über die Frage, wie funktioniert Demokratie, zu benutzen. Das ist die Multidisziplinarität, die Freies Theater auszeichnet.

Keine Angst, dass solche Festivals bald nur noch online stattfinden?
FB: Ich glaube, Theater wird auch in 30 Jahren noch davon leben, dass es ein Ereignis ist, dass stattfindet, um nicht zu sagen, dass man es gemeinsam erlebt. Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass wir mit dem Festivalprogramm auf unserer Homepage auch ein Programm initiiert haben, das Digitale Performance heißt, um ein Moment von Digitalität in die Theaterwelt einzuführen und um zu fragen, was die Möglichkeiten sind, wenn sich Performance und das Digitale treffen. Wir können uns dem nicht verwehren, das ist Teil von dem, was gegenwärtig stattfindet. Und damit zu arbeiten ist das Entscheidende. Es gibt viele tolle künstlerische Beispiele, die auf unserer Homepage schon online sind.

Favoriten-Festival (fav18) | 6. - 16.9. | Dortmund | favoriten-festival.de

Zur Person
Fanti Baum lebt als freie Performancekünstlerin und Theoretikerin in Frankfurt a.M. und Dortmund. Sie entwickelt in unterschiedlichen Kollaborationen Performances, Installationen und Tanzstücke. 2019 ist sie Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude.
Olivia Ebert studierte Theater und Kunstgeschichte in Frankfurt a.M. Sie arbeitet als Dramaturgin und künstlerische Produktionsleiterin im Kontext freier darstellender Künste. Beide leiteten gemeinsam das Performance-Festival Implantieren in Frankfurt.

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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