Die wahren Geheimtipps unter den Künstlern befinden sich häufig im Bereich der Zeichnung. Das Museum Folkwang stellt derzeit mit Friedemann von Stockhausen einen solchen Künstler vor, der in Fachkreisen Bewunderung und Staunen auslöst, von dem man aber im Ruhrgebiet und Rheinland bislang wenig gesehen hat. Vielleicht liegt dies daran, dass er die Zeichnung gegen ihre ursächliche Bestimmung betreibt. Zwar tragen seine oft großformatigen, mehrteiligen Arbeiten auf Papier immer den Gestus des Spontanen, der unmittelbaren emotionalen Äußerung, aber doch weisen sie im Bildgeschehen Partien auf, die genau und präzise ausformuliert sind.
Diese Blätter wirken dadurch nicht nur malerisch, sondern besitzen auch Aspekte des Plastischen. Friedemann von Stockhausen, der 1945 geboren wurde und 1994-2012 eine Professur an der Kunsthochschule Braunschweig inne hatte, aber zunächst Ethnologie und Soziologie studiert hat, erfindet biomorphe Formulierungen, die den Bildraum durchqueren und sich bei den mehrteiligen Arbeiten über die Blattgrenzen hinweg fortsetzen. Stockhausen lotet die Möglichkeiten der Zeichnung mit Kohle und Gouache aus; Farbe setzt er sparsam, aber pronounciert. In der sehr konzentrierten Ausstellung im Museum Folkwang betrifft dies vor allem die 15-teilige Arbeit „Dimorph“, die jüngst vom Museum erworben wurde.
Das andere Highlight der Schau ist „63 Ganze Teile“, die bislang größte Arbeit von Friedemann von Stockhausen. In drei parallelen Reihen und über Eck präsentiert, zieht sie den Betrachter sogartig ein. Fluchtlinien führen vom unteren Rand direkt in das Bild, aber wie verhält es sich mit den Dimensionen? Die Arbeit unterstellt nichts, sie gibt nicht einmal die Leserichtung vor, offen bleibt, ob sie fortsetzbar ist. Breitet sich hier eine Landschaft aus? Dagegen sprechen die sukzessiven, kantigen Formen in einem Teil des Bildes. Und was ist mit den monumentalen, schotenartigen Körpern? Das ist alles andere als spröde, vielmehr lebhaft und sinnlich: Man muss es gesehen haben.
„Friedemann von Stockhausen – Ganze Teile“ | Museum Folkwang, Essen | bis 21.10. | www.museum-folkwang.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Geschichten einer Leidenschaft
Oskar Kokoschka mit den Porträts von Alma Mahler in Essen – kunst & gut 05/25
Der ganze Körper in Aktivität
Paula Rego im Essener Museum Folkwang
Auf Augenhöhe
Deffarge & Troeller im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/25
Hin und weg!
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 05/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Aufbruch und Experiment in Paris
Meisterwerke der Druckgraphik im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 10/23
Kompatibel mit Museum
Rafaël Rozendaals NFTs in Essen – Ruhrkunst 05/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Sie macht ihre Reisen im Internet
Thomas Seelig über Daniela Comani im Museum Folkwang – Sammlung 01/23
Es zählt nur die Botschaft
We want you! im Museum Folkwang – Kunstwandel 07/22
Appetithäppchen
Westdeutscher Künstlerbund (WKB) in Witten – Ruhrkunst 08/25
Nachtspaziergang im Keller
„Light-Land-Scapes“ in Unna – Ruhrkunst 07/25
Viel zu tun
RUB-Sammlungen im MuT Bochum – Ruhrkunst 07/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25
Bewegung und Berührung
Eva Aeppli und Jean Tinguely in Duisburg – Ruhrkunst 05/25
Einflüsse verschmelzen
Nadira Husain im Kunstmuseum Gelsenkirchen – Ruhrkunst 05/25
Nudel, Mops und Knollennase
Loriot in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Ruhrkunst 03/25
Hannibal, ungeschönt
Latefa Wiersch im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 03/25
Gewebt, geknüpft, umwickelt
Sheila Hicks in Bottrop – Ruhrkunst 02/25
Wovon Bunker träumen
„Radical Innovations“ in der Kunsthalle Recklinghausen – Ruhrkunst 02/25
Runter von der Straße
Graffiti-Künstler im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/25