Der Weg ins Dortmunder U ist an sich schon eine Zeitreise. Der Brauereiturm hat sich dem Zeitgenössischen verschrieben, mit einem gigantischen Treppenhaus und vielen interessanten Etagen. Hingekommen bin ich oldschool, mit PKW und Fahrstuhl, die Rolltreppe habe ich ignoriert, neugierig auf sich bewegende Buchstaben. Der erste Blick traf ein Gebilde mit kleinen, schwarzweißen Würfeln, die an filigranen Fäden oder Drähten baumelten, beschriftet mit Hinweisen und den neumodischen QR-Tags. Das sollte also eine Medienausstellung sein? Zu sehen gab es nix; gut, hinten flimmerte ein Flachbildschirm, auch flache weiße Hocker standen da. „Darf ich ihnen ein I-Pad reichen?“ Die Aufsicht sah den alten Mann und der gierte offensichtlich nach Hilfestellung. Nun ist Apple nicht gerade meine Welt, aber so ein neumodisches Frühstücksbrettchen der Apfelfetischisten wollte ich dann doch nicht ablehnen, was sollte ich machen, die weißen Würfel sahen irgendwie so aus, als sollte ich vielleicht doch nicht auf Technik verzichten. „Sie müssen den Barcode immer in dieses Quadrat bringen“, mit dieser einfachen Anweisung kam ich klar, auf den Kopfhörer verzichtete ich heroisch, außer mir war der Raum leer, wer sollte mich stören?
Also ran an den ersten Würfel, der etwas dicker war als die anderen, I-Pad in die Höhe, anvisiert, klick und schon erklärte mir eine sonore Stimme die Anfänge der Lettern-Wissenschaft. „Von Johannes Gutenberg zur digitalen Gegenwart“ hieß die erste Vorlesung, o.k., die Historie schenkte ich mir, langsam wurde die Sache doch spannend, denn ich entdeckte auf den kleineren Würfeln vertraute Namen, vertraute Titel. Also hoch mit dem Brett, scannen und fröhlich sein, „Tiger Dust“ (2009) der schweizerischen Gruppe Yello war mein erster Musicclip, den ich gar nicht mehr auf der Kette hatte. Und da „Bachelorette“ (1997) von Björk. Ein Videoclip mit laufenden Buchstaben, die sich selbst in ein Buch schrieben, „One day I found a big book“, ach nee, ich erinnere mich, Filmmusik für Bertolucci, der nie gedreht wurde. Aber kaum gestartet, sehe ich „Yellow Submarine“(1969) und da, da hängt ein Würfel mit „Spiderman“ (1967), ich reiße mich zusammen, ein verstohlener Blick zur Aufsicht, die schauen geschäftsmäßig weg, ich hätte doch Kopfhörer nehmen sollen, Barbarella (1968) in der Lustorgel schaue ich ganz, sorry, lange nicht gesehen. Dann wird es wieder sachlich. Vom ZDF zu Al Jazeera, hier wird erklärt, wie einzelne Buchstaben zu Marken wurden, nebenan der weite Weg zum Farbfilm. In dieser Ausstellung, die im eigentlichen Sinne gar keine ist, kann man sich verlieren. Dass eine Schau zur Geschichte von Typografie und animierten Buchstaben in Film, Werbung und Internet derart sinnlich ist, obwohl haptisch kaum fassbar, ist außergewöhnlich. Kein Wunder, dass dieses Kleinod des sinnvollen Lebenszeitverbrauchs mehrfach mit Designpreisen ausgezeichnet wurde. Sie ist in NRW nur in Dortmund zu sehen und das macht sie schon zum Highlight über den Jahreswechsel. Auch hier wurde eine eigene »Medienfassade« konzipiert und programmiert, die von Besuchern und Passanten per SMS mit gestaltet werden kann.
„MOVING TYPES – Lettern in Bewegung“ | bis 02.02. |Dortmunder U | 0231 502 47 23
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