180 Millionen Euro will die Bundesregierung bis 2015 in die Hand nehmen, um Elektromobilität endlich auch im Alltag erlebbar zu machen. Dazu sollen „drei bis fünf“ regionale Fördergebiete – sogenannte „Schaufenster“ – benannt werden. Statt mit einer geballten NRW-Bewerbung aufzutreten, machen sich aber mehrere Projektinitiativen das Leben gegenseitig schwer. Entschieden wird in Berlin Ende März.
Nach heutigem Stand müssten sich 18.000 Bundesbürger ein Elektroauto teilen. Das ist für ein Land, welches Leitmarkt und Leitanbieter werden möchte (und dann auch gleich global), nicht besonders viel: Von der für 2020 erhofften Million an E-Autos rollten zum Beginn dieses Jahres genau 4.461 Exemplare. Auch an den vielhundertfach aufgestellten öffentlichen Ladesäulen steht so gut wie nie ein Batterieauto. „Wollen Sie wissen, wie viel Strom wir dort schon abgesetzt haben?“, fragt ein Stadtwerke-Sprecher im Ruhrgebiet. „Lieber nicht. Es ist nämlich zum Totlachen.“
Kein Wunder: Bisher gab es auch kaum Fahrzeuge – außer umgerüstete Kleinmobile (Karabag-Fiat, Stromos-Agila, Batterie-Smart) oder Neuentwicklungen, die praktischerweise baugleich unter drei verschiedenen Markennamen (Mitsubishi, Peugeot, Citroen) antraten. Die deutschen Hersteller ließen fast ohne Ausnahme ihren ausländischen Kollegen den Vortritt – wohl um günstig aus deren Fehlern zu lernen. „Deutschland wartet auf den Elektro-Golf“ barmte Verkehrs-Staatssekretär Rainer Bomba unlängst. Vor Herbst 2013 wird daraus nichts.
Wenn sich das mal nicht rächt: Denn jetzt sollen in „drei bis fünf“ regionalen „Schaufenstern“ Elektromobile nicht nur bestaunt werden. Allein die größte NRW-Bewerbung, die „Route der Elektromobilität“ entlang der Regionalexpress-Linie 1, möchte mit 50 Projekten gut 2.000 Fahrzeuge mobilisieren. Allerdings strotzt mancher Plan nicht gerade vor Ideenreichtum: In Düsseldorf planen Stadt und Stadtwerke eine E-Testflotte, die Mitarbeitern und Externen zur Verfügung steht. An der Uni Duisburg-Essen sammelt Prof. Dudenhöffer willige Unternehmen, die E-Mobile anschaffen, um sie gleich wieder in ein Car-Sharing-Projekt abzugeben. Man hofft, dass das bislang eher flügellahme Auto-Teilen nun plötzlich da an Power gewinnt, wo strombetriebene Vehikel bereitstehen.
In Bochum variiert man diese Idee ein wenig: „Mit „Nahverkehr 2.0“ soll der städtische User über ein einziges „Mobilitätsticket“ ÖPNV und Elektrofahrzeuge nutzen können – insbesondere dort, wo Bus und Bahn zu umständlich oder zu selten verkehren. Geplant sind 18 Umsteigepunkte, die mit Leih- und Ladestationen für E-Autos und -Roller bestückt sind. Dieses Konzept soll zunächst auf Bochumer Stadtgebiet ausprobiert werden, danach ausufern.
Neben einigen sinnhaften Projekten wie der E-Mobilisierung von Pflegediensten oder Wirtschaftsverkehren enthält die „Perlenkette RE-1-Linie“ auch das eine oder andere Motiv zum Stirnrunzeln. Wer „E-Mobility-TV“ schauen soll, ist ebenso verrätselt wie die Frage, wem Lademöglichkeiten in den Steuerwagen der RE-1-Züge nutzen: Freizeitradler pflegen mit geladener Batterie loszufahren oder abends am Ziel zu laden. Den Spaßvogel abgeschossen hat freilich Köln, wo umtriebige Jecken einen „Zoch“-Festwagen mit Ampere statt Oktan auf Konfettirunde schicken wollen.
Deutschlands größter Ballungsraum könnte sich aus Proporzgründen große Hoffnungen auf eine „Schaufenster“-Zuteilung machen, wenn da nicht auch Aachen auf dem Bewerbungsplan stünde. Die umtriebigen Tüftler von RWTH, Stadtwerken und Stadtentwicklung haben ein Projektbündel konzipiert, das landesweit für Aufsehen sorgte. Mit der „Campusbahn“ will man ein Hochschul-Erweiterungsgebiet neu erschließen. Akku-Straßenbahnen und Elektrobusse sollen mit Leih-Mobilen ergänzt, diese wieder über die ÖPNV-Infrastruktur geladen werden – natürlich mit Regenerativ-Energie von nebenan. Skeptiker glauben, dass der 16-Projekte-Plan gar nicht so schlechte Aussichten hat, „wenn man sich in Berlin erinnert, dass ÖPNV die älteste Version von Elektromobilität ist.“
Vieles läuft unter Forscher-Augen ab. Georg Wilke vom Wuppertaler Klima-Institut hat aus der ersten Förderphase schon einige verblüffende Nutzer-Details parat. Seine Probanden legten täglich im Schnitt 40 Kilometer mit dem Elektrofahrzeug zurück, 85 Prozent der Tagesdistanzen blieb unter 70 Kilometern. Wilke: „Das heißt, die Nutzung blieb stets und deutlich unterhalb der Batteriereichweite.“ Dennoch stöpselten die Fahrer – völlig unnötig – andauernd den Ladestecker ein. Der durchschnittliche Ladevorgang wurde mit 3 Kilowattstunden ermittelt. Es lag übrigens nicht daran, dass überwiegend ängstliche Mädchen mit der E-Flotte unterwegs waren. Drei von vier Elektroautos haben Männer gesteuert.
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