„Guten Morgen! Fühlen Sie sich frei?“ Mit dieser Frage eröffnet Intendant Johan Simons die Pressekonferenz zur diesjährigen Ruhrtriennale – und macht direkt zu Beginn klar, dass das Politische dieses Jahr im Zentrum des internationalen Kunstfestivals an der Ruhr stehen wird. Es soll um Europa gehen, um – natürlich – Flucht und Verfolgung, ums Bürgerliche und um Solidarität – auf rund 120 Veranstaltungen von 900 Künstlern aus 25 Ländern. „Die Ruhrtriennale war lange nicht so politisch wie jetzt“, so Simons. Künstlerisch eine mutige Entscheidung – könnten nach einem Jahr „Flüchtlingskrise“ auf den Bühnen nicht schon alle Geschichten erzählt sein?

Zu Beginn geht die Ruhrtriennale jedenfalls ein paar Schritte zurück, weg von brennender Tagesaktualität und in den Kreißsaal der europäischen Kultur, das antike Theater Greichenlands: Euripides‘ „Alceste“, als Oper nach dem Vorbild des spätbarocken Christoph Willibald Gluck inszeniert, eröffnet am 12. August in der Jahrhunderthalle Bochum das Kunst-Festival. „Wir gehen zurück zu den Wurzeln europäischer Kultur“, sagt Chefdramaturg Jan Vandenhouwe.
Und manche Geschichten warten ja immer noch darauf, erzählt zu werden: Die des ermordeten Arabers aus Albert Camus‘ Klassiker „Der Fremde“ beispielsweise. Die erzählt der algerische Autor Kamel Daoud in seinem Roman „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“. Bei der Musiktheater-Inszenierung „Die Fremden“ führt Intendant Simons selbst Regie. „Wenn die Religion überwunden ist, liegen christliche und islamische Welt nicht weit auseinander“, erklärt er seine Faszination an dem Stoff. Mit Simons‘ existenzialistischem Musiktheater bespielt die Ruhrtriennale erstmals die Kohlenmischhalle der Zeche Auguste Victoria in Marl, und zwar am 2. September.
Von Bürgertum und Bässen
Eine bewährte Spielstätte ist hingegen die Gießhalle des Landschaftspark Duisburg: Das beeindruckende Mahnmal der Industrialisierung wird – wie als Kontrast – Schauplatz einer bürgerlichen Familiengeschichte, genauer: dem zweiten Teil von Luk Percevals Emile Zola-Trilogie. Letztes Jahr inszenierte er „Liebe“, dieses Jahr geht es ums „Geld“. Am 7. September feiert die Koproduktion von Ruhrtriennale und Thalia Theater Hamburg Premiere.
Neben den zahlreichen Bühnenproduktionen – insgesamt 32, davon 23 Eigen- und Koproduktionen sowie 20 Premieren – kommt auch die Musik nicht zu kurz: Am 13. September feiert die Ruhrtriennale an der Bochumer Jahrhunderthalle die Nacht der elektronischen Pop-Musik, mit Acts wie Peaches und einer Open-Air-Bühne für Freunde von Tanz, Bass und Ekstase, gehostet von – wem auch sonst? – dem Essener Goethebunker.
Musik und Film treffen sich am 18. September in der Lichtburg Essen zum „The Waiting Room Film Project“: „The Waiting Room“ ist ein Album der britischen Band Tindersticks – zu jedem der Songs drehten sie allerdings ein Musikvideo, herausgekommen ist ein Album zum Hören und Sehen. In der Lichtburg wird nicht nur das fertige Filmprojekt gezeigt, die Band spielt die Songs auch live.
Ruhrtriennale – Festival der Künste | Fr 12.8. bis Sa 24.9. | diverse Orte in Bochum, Bottrop, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen, Gladbeck, Hamm, Marl und Mülheim | www.ruhrtriennale.de
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