trailer: Herr Griess, Ihr neues Programm heißt „Männer, die nach Mammon jagen“. Hat der Titel etwas mit der bevorstehenden Bundestagswahl zu tun?
Robert Griess: Eher mit der Gier als große Antriebsfeder unserer Zeit. Der Zusammenhang ist natürlich da, weil sich jede Bundesregierung als Dienstleister für die Bankenwirtschaft versteht. Ob aber nun Frau Merkel oder Herr Steinbrück Steuergelder freigeben, spielt für den Vorstand der Deutschen Bank keine Rolle.
Das letzte Programm hieß „Revolte“. Das klingt ja noch linksradikaler...
Was früher normal war, ist heute radikal. Es geht um die Mittelschicht, und die ist nie radikal. Man liest immer „Deutschland ist der große Krisengewinner“, aber das gilt ja auch hier nur für ein paar Banken und Großunternehmen. Der Rest muss fürs gleiche Geld immer mehr rackern. Dagegen tut aber hier niemand etwas. In den Olivenölrepubliken und schafskäseproduzierenden Ländern von Griechenland bis Portugal wird hingegen revoltiert. Da könnten wir also doch etwas von Südeuropa lernen.
Europa ist für Sie nur negativ besetzt?
Natürlich nicht. Im kommenden Jahr jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des Ersten Weltkrieges. Wenn man sich das vergegenwärtigt, ist es doch derzeit sehr schön hier. Man darf eben nicht alles nur auf Märkte reduzieren.
Aber es gibt doch trotz EU große Unterschiede?
Ja, aber das kann gerade im Kabarett gut dargestellt werden. Wie gehen die verschiedenen Länder zum Beispiel mit ihren Sex-Skandalen um? In Amerika muss jeder, der eine außereheliche Affäre hat, zurücktreten. In Frankreich dagegen ist eine Affäre Voraussetzung, überhaupt Präsident werden zu können. In Deutschland muss man, zumindest wenn man in der SPD etwas werden will, mindestens dreimal geschieden sein. Deshalb hat der Steinbrück auch keine Chance. In England ist jedes dritte Kind ein Kuckuckskind – Mamas Baby, Papas Maybe. In Spanien heißt der König nicht nur Don Juan, er ist auch einer.
Ist das Ausland also doch irgendwie moralisch nicht so viel wert?
Wir Deutschen haben in Sachen Skandale enorm aufgeholt. Stuttgart 21, Kölner Archiveinsturz, Berliner Flughafen. Es fehlt nur noch, dass sich Angela Merkel mit minderjährigen marokkanischen Lustknaben vergnügt. Ansonsten sind wir schon nah dran.
Wie kann Kabarett solch ein kompliziertes Thema wie die Finanzkrise anpacken?
Im Moment sagt jeder „Kapitalismus ist scheiße, die Banken sind böse“. Das ist nicht lustig. Man muss neue, überraschende Bilder finden, dann wird‘s unterhaltsam: Warum ist Bier die bessere Wertanlage als Aktien – das Leergut ist nach einem Jahr meist mehr wert als die Aktien! Oder wenn man live von einem Manager-Survival-Weekend mit Fick-Flatrate in der Eifel berichtet. Besser als jeder Predigerton ist es, die Sprache der BWLer selbst auseinanderzunehmen: Haben notleidende Kredite Gefühle? Warum sind faule Kredite nicht fleißig? Oder nehmen Sie den Begriff „Marktmoral“: Wie schafft es die deutsche Sprache, zwei Dinge zusammenzubringen, die in der Natur nie zusammen vorkommen?
Sie machen politisches Kabarett, setzen sich aber keine Angela-Merkel-Perücke auf. Wie geht das?
Es geht ja nicht um austauschbare Politiker, sondern darum, lustig die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Das mache ich lieber mit Kunstfiguren, die den Alltag auf überraschende Weise angehen. Da gibt es zum Beispiel Herrn Stapper auf Hartz IV, einen Assi, der nicht doof ist und nicht RTL 2 guckt, sondern sich nichts mehr gefallen lässt und Revolte macht. Der geht dreimal die Woche reiche Leute ärgern. Aber reich fängt für den schon bei der Mittelschicht an. Dieser moderne Don Quichotte der Großstadt packt die Wohlfühl-Milieus im Bioladen, beim Pilates und in der Waldorfschule an ihre Weichteile.
Der geht Ihr Publikum ärgern?
Genau, der Stapper kann das Publikum viel besser mit sich selbst konfrontieren, als wenn ich das als Robert Griess machen würde. Die Leute lieben ihn. Der Stapper streitet sich ja sogar mit dem Griess auf der Bühne rum. Man muss nicht immer nur auf die Regierung schimpfen. Die Lücke zwischen Anspruch und Realität bietet auch in unserer eigenen Szene viel Futter für Rohdiamanten der Hochkomik.
Der Stapper spricht mit kölschem Ton in der Stimme. Muss das sein?
Den Stapper versteht man auch in Bayern und Berlin, weil die Problematik zwischen oben und unten überall die gleiche ist. Aber ich wollte einen Assi auf die Bühne bringen, der nicht dem Privatfernseh-Klischee entspricht, und einen Kölner, der nicht nur sympathisch ist. Das Kabarett in Köln ist ja oft so schulterklopfend, so selbstbeweihräuchernd.
Hat das Kabarett grundsätzlich eine Zukunft?
Härtere Zeiten brauchen härtere Pointen. In der Krise kommen erfahrungsgemäß immer mehr Leute ins Kabarett.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Letzter Einsatz für‘s Hirn
Robert Griess in der Kleinen Affäre in Hattingen
Kabarett, Cochem-Style
„Zu viele Emotionen“ von Anna Piechotta in Bottrop – Bühne 03/25
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
Tacheles und Tamtam
RuhrHochDeutsch in Dortmund – Festival 07/22
Mit spitzer Zunge
Wilfried Schmickler im Steinhof
Verbaler Rundumschlag
Hennes Bender in der Lindenbrauerei
Aufklärung mit Witz
Hagen Rether im Saalbau Witten
Zoten zum Verzweifeln
Kabarettisten klären auf über die Weltpolitik – Komikzentrum 04/20
Sie passiert das Ebertbad
Die erstaunliche Hazel Brugger gastiert in Oberhausen – Komikzentrum 09/18
Von klug bis knackfrech
Das Zeltfestival Ruhr bietet für jeden Besucher etwas – Komikzentrum 08/18
Sexy, lustig und extravagant:
Das RuhrHochdeutsch-Festival ist wieder am Start – Komikzentrum 06/18
Ganz ruhig bleiben
Zum 10. Mal: „Das Schwarze Schaf“ wird in Duisburg gekürt – Komikzentrum 05/18
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Die Vergangenheit ruhen lassen?
Vortrag über die Essener Justiz nach der NS-Zeit im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Der deutschen Identität entkommen
Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Die Rechte erzählt sich gerne was
Diskussion über rechte Ideologie und Strategie im KWI Essen – Spezial 06/25
Im Spiegel der Geschichte
Die Ausstellung „Die Rosenburg“ im Bochumer Fritz Bauer Forum – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Ein Leuchtturm für Demokratie und Menschenrechte
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Spezial 06/25
Das Internet entgiften
Workshop zu Hassrede in der VHS Essen – Spezial 05/25
Auslöschen der Geschichte
Diskussion über Erinnerungskultur in Argentinien im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 04/25