Gute Vorbereitung ist alles: Wer die Ausstellung über den Dialog zeitgenössischer künstlerischer Positionen mit Minimal und Conceptual Art der 1960er/70er Jahre zu besuchen plant, sollte sich besser vorab schon ein bisschen schlaumachen über die Kunst und die Künstler. Denn anders als bei einer Präsentation aus der Universitätskunstsammlung zu erwarten war, werden Besucher ziemlich alleingelassen: Gucken pur, Info null. Ein wenig schade, denn ungegenständliche Kunst und Minimal Art gibt sich gern spröde.
Immerhin wählte man für den Auftaktraum selbsterklärende Konzeptkunst von Timm Ulrichs: Eine achtteilige Serie – sieben Fotos und ein Leinwandbild – zeigt uns „timm ulrichs, ein bild herstellend und ausstellend“ (1968/1973). Wir sehen dem Künstler beim Kunstmachen zu: wie er Holz und Leinwand kauft, auf dem Rad ins Atelier transportiert, Keilrahmen baut, Leinwand aufzieht, das Bild zum Museum schafft und dort aus Klebebuchstaben den obigen Bildtitel appliziert. Für eine weitere selbstreferenzielle Arbeit hat er seine Körperoberfläche exakt vermessen und die ermittelten Maße in ein rechteckiges Bildformat überführt. Sechs Betonklötze mit unterschiedlicher Dichte porträtierte er auf drei Weisen: als Text, als Foto und als reales Objekt. Ein Readymade, der Klassiker der Konzeptkunst.
Das Künstlerteam Winter/Hoerbelt arbeitet heute noch mit ähnlich unspektakulären Alltagsmaterialien. Denen entlocken sie aber überraschende ästhetische Qualitäten: Ihre raumgreifende „Red Tube“ (2016) ist eine betretbare rote Riesenröhre, die sich erst auf den zweiten Blick als Gebilde aus verknüpften Getränkekisten entpuppt. Einfache Materialien werden Skulptur oder Bild, wie auch die innen gefärbten Federstahlringe an der Wand, die zarte pastellfarbene Schattenbilder werfen. Das ist zeitgenössische Minimal Art vom Feinsten, ähnlich kraftvoll wie Bruce Naumans Video (1968), auf dem er seinen Kopf und Oberkörper mit schwarzer Farbe einreibt und wieder blank wischt. Philipp Goldbachs Schalttafeln und Typoscheiben betonen die Materialästhetik und den Reiz des Seriellen, aber seine und Benedikt Terwiels Landkarten lassen Fragen offen. Den starken Schlussakkord setzt eine in situ geschaffene Installation der Bildhauerin Franka Hörnschemeyer, die in diagonal geführte Drahtseilverspannungen vereinzelte Bau- und Schalelemente eingebunden hat – wie frei schwebend. Der Raum wirkt durch diese wenigen Objekte leicht und luftig, ist dennoch komplett besetzt und unbetretbar ausgefüllt. Für Kunstkenner, die Formen- und Materialsprache lesen können, ist die Ausstellung ein Feinschmeckermenü, für Gelegenheitsbesucher eher ein Knochen.
post_minimal conceptual_now | bis 20.10. | Museum unter Tage, Schlossstr. 13, Bochum-Weitmar | 0234 3228523 | www.situation-kunst.de
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