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Im Konflikt mit der Dorfgemeinde und der Realität: Der Phantast Peer Gynt
Foto: Sebastian Kirch

Wer bin ich und wenn ja wie viele Zwiebeln?

16. März 2018

„Peer Gynt“ am 14.3. im Bochumer Theater Unten – Theater 03/18

Schicht um Schicht wird so eine Zwiebel geschält. Ein Symbol für die eigene Persönlichkeit, die unter Schalen von Träumen und Illusionen vergraben liegt? Diese Zwiebeln haben jedenfalls einen prominenten symbolischen Auftritt zu Beginn dieser Inszenierung. Sie liegen in den Händen der DarstellerInnen oder hängen an bunten Stäben herunter, sie werden gewendet, gedreht oder gepellt.

Henrik Ibsen schuf mit dem Zwiebel-Gleichnis bekanntlich eine der Schlüsselszenen seines Stücks, in der sein Protagonist mit der Substanzlosigkeit der eigenen Existenz ringt. Das und die subtil-poetische Verssprache, in die Ibsen diesen Selbstfindungstrip packte, haben dazu beigetragen, dass „Peer Gynt“ noch immer ein Dauerbrenner auf den Bühnen ist. Viel mehr als diese beiden Elemente, die Verse und den Identitätskonflikt, benötigt auch die Inszenierung unter der Regie von Sandra Anklam nicht, um der Vorlage im Theater Unten des Schauspielhaus Bochum gerecht zu werden.

Auf der Bühne rücken die DarstellerInnen zum Chor zusammen, um in die Geschichte dieses jungen Bauernsohnes einzuführen: Der Vater, einst ein angesehener Landwirt, hat seinen Hof und sein gesamtes Gut in Folge von Misswirtschaft und Alkoholismus verloren. Dass er und seine Mutter seitdem versuchen, in der mittlerweile heruntergekommenen Behausung über die Runden zu kommen, diese prekären Verhältnisse – auch das ein Motiv, das Ibsens Klassiker von der ArbeiterInnenbewegung bis zur Gegenwart so aktuell macht – verdrängt Peer aus der Phantasiewelt, in die er sich selbst eingerichtet hat.

„Wer träumt, wird nie herausfinden, wer er ist“, mahnt ihn eine Fee. Der Beginn einer Reise, einer Identitätssuche, um die es in diesem Konflikt von Realität und Wahn geht.

PatientInnen und MitarbeiterInnen der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin des LWL-Universitätsklinikums Bochum haben aus diesem theatralen Konflikt einen Therapieansatz entwickelt, ein Projekt an der Schnittstelle von Kunst und Heilung. Theaterpädagogische und -therapeutische unter der Leitung von Sandra Anklam, etwa im Rahmen von „Club in der Psychiatrie“ oder „Club in der JVA“ werden im Schauspielhaus schon seit einigen Jahren im Theater Unten präsentiert. Laientheater mit dem Ziel, konkrete Behandlungsziele und Abendunterhaltung zu verbinden.

Das geht auch an diesem Premierenabend auf, was vor allem an der Verdichtung auf den Grundkonflikt liegt, der, in einem kargen Bühnenbild, dahin verlagert wird, dieser Entfremdung von Wahn und Realität auch spröde Hoffnung zu geben. Aus dem off singen Radiohead: „Whatever makes you happy/ Whatever you want/ You're so fuckin' special/ I wish I was special“.

Da ist dieser Phantast von seiner Reise zurückgekehrt, alt und verarmt. Aber Hand in Hand mit seiner einstigen Jugendliebe Solvejg. Identitäts- und Sinnsuche als steiniger, vertrackter Weg. Davon zeugen auch symbolisch die Zwiebel-Schalen auf dem Boden.

Benjamin Trilling

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