Wer bin ich? An dieser Frage arbeitet sich die westliche und zumeist Weiße und männlich geprägte Philosophie seit der Aufklärung und Entdeckung des Individuums ab. Dass es nicht nur die eine, sondern viele Identitäten gibt, ist spätestens in der Moderne klar geworden. Mit der Postmoderne ist der Begriff schließlich in eine Vielzahl von Identitäten zersplittert. In den letzten Jahren ist eine neue Polyphonie hinzugekommen. Die Frage nach Identitäten stellt sich vermehrt auch im Kontext sexueller und geschlechtlicher Orientierung oder von Migrationserfahrungen und dem Aufwachsen in oder zwischen zwei oder gar mehreren Kulturen. Aktuellstes Beispiel ist die bisher als Journalistin und Sachbuchautorin bekannte Mithu Sanyal. Der Titel ihres Debütromans „Identitti“ nimmt bereits ironisch die schwierige Identitätssuche der Protagonistin – eine Weiße Professorin für Postcolonial Studies – innerhalb der Geschichte vorweg.
Mosaik aus Einwanderungserfahrungen
Literatur ist aber nicht die einzige Kunstform, die sich dem Thema widmet. Auch der Film oder das Theater sind Orte, an denen Identität zunehmend divers verhandelt wird. Ihrem fragmentarischen Charakter wird aber vielleicht eine multimediale Herangehensweise am besten gerecht. Dafür hat sich auch die deutsch-taiwanesische Künstlerin Fang Yun Lo entschieden. Gemeinsam mit dem 2011 gegründeten Label Polymer DTM – eine in Essen, Dresden und dem taiwanesischen Taichung verortete Plattform für kooperative Tanz- und Performanceprojekte – arbeitet sie an einer dreiteiligen, choreographischen Serie zu Identität und Pluralität. Die Uraufführung des zweiten Teils „Home away from home“ ist von Freitag bis Sonntag auf PACT Zollverein als choreographierter, digitaler Rundgang zu sehen.
Insgesamt hat das Team um Fang Yun Lo, die als Darstellerin beispielsweise für Rimini Protokoll oder die Ruhrtriennale tätig war, für „Home away from home“ zwei Jahre lang gründlich recherchiert. Aus Unterhaltungen mit über einhundert Menschen vietnamesischer Abstammung in Taiwan und Deutschland hat sich so ein Mosaik aus unterschiedlichen Einwanderungserfahrungen ergeben.
Bei der digitalen Uraufführung wird das Publikum auf sechs Darsteller*innen treffen, die an verschiedenen Stationen von der eigenen (Familien)Geschichte und aus ihrem Alltag als Arbeiter*in, Künstler*in oder Studierende erzählen. In Kombination mit Fotografien, Filmausschnitten und Hörstücken entsteht so ein Eindruck von der Vielstimmigkeit von Identität. Im Anschluss an den Rundgang steht Fang Yun Lo an allen Abenden noch zum Artist Talk zur Verfügung, der Eintritt ist frei.
Home away from home (Uraufführung) | Fr. 26.2 bis So. 28.2., jeweils 20–21.30 Uhr (Stream) | PACT Zollverein
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