Die Cyborgs lieferten einen Wetteinsatz, als die Feministin Donna Haraway in den 1980ern ihren Essay „Ein Manifest für Cyborgs“ veröffentlichte. Die Philosophin schrieb über eine Erosion von Unterschieden durch die Technologie: Mensch und Natur, Maschine und Körper, Mann und Frau. Die Wesen aus der Zukunft ließen eine Welt ohne Geschlechterunterschiede zumindest erahnen. Dieser Genderdiskurs ist mittlerweile auch auf den deutschsprachigen Bühnen gestrandet.
Zu den renommierten Choreografen, die versteinerte Geschlechterverhältnisse zum Tanzen bringen, gehört seit den Nullerjahren Mette Ingvartsen. Die Dänin rückte den Körper der TänzerInnen etwa aus dem Zentrum der Choreografien. In „Artificial Nature Project“ kauern die Performer im Hintergrund. Während Wind und Licht als Hauptrollen inszeniert werden. Das Ergebnis war nicht nur ein poetisches Bühnenbild, sondern eine Absage an normierte Körperdarstellungen. Denn Ingvartsens Tanz-Traktate laden auch ein, über die Repräsentation von Körpern zu reflektieren. Und dieses Motiv geht bereits auf den Beginn ihrer künstlerischen Karriere zurück. Mit 14 Jahren wurde die Tänzerin als Junge eingeordnet. Diese Erfahrung prägte sie und taucht immer wieder als Motiv ihrer Choreografien auf: die Gleichberechtigung aller Geschlechter.
Porno mit Ganzkörperanzügen
Wie sich etwa Unterschiede zwischen Mann und Frau optisch verwischen lassen, demonstrierte Ingvartsen in „To Come“, ein Teil ihrer Reihe „The Red Pieces“, die das Verhältnis zwischen Körper, Gender und Sexualität einer kritischen Prüfung unterzieht. „To Come“ dekonstruierte die Rollenaufteilungen der Pornoindustrie. Ingvartsen ließ die TänzerInnen in blaue Ganzkörperanzüge schlüpfen und mechanische Sex-Stellungen durchexerzieren. Die Geschlechter waren nicht erkennbar, Codes von Dominanz aufgelöst.
Nun widmet sie sich in „Moving in Concert“ dem Verhältnis zwischen Körper und Technologie, das durch die Digitalisierung und Phänomene wie dem Cybersex eine Umwälzung erfahren hat. Ingvartsen lässt auf Zollverein neun TänzerInnen auftreten, um diese Verflechtung auf der Bühne zu befragen: dystopischer Transhumanismus oder doch ein emanzipatorischer Maschinenraum?
Mette Ingvartsen: Moving in Concert | enfällt im November | PACT Zollverein Essen | www.pact-zollverein.de
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