Irgendwie scheint das Wassermann-Zeitalter den Bach runter zu gehen. Friede, Freude, Eierkuchen, nichts funktioniert. Das eine findet nicht statt, das andere ist getrübt und selbst der Eierkuchen ist vergiftet. Kein Wunder, dass das Politische bei Stefanie Carp und Christoph Marthaler und ihrer ersten Ruhr-Triennale ziemlich dominant wird. „The Times They Are A-Changin'“ sang Bob Dylan bereits 1964 in den USA, inzwischen ist die Veränderung auch in Europa längst Dauerzustand. Furcht zersetzt die Gesellschaft, Misstrauen gefährdet die Demokratie. Wir brauchen ein Laboratorium wider die Angst. Und so hat Afrika im Programm einen Stellenwert und die Lehre von Ursache und Wirkung auch, denn kausal ist unser Lebensstil an den zeitgenössischen Flüchtlingsdramen die Ursache.
„Des Nackens Leid sind Kopf und Last“ – ein altes Sprichwort aus Ghana ist der Titel von William Kentridges Multimediagewitter; es wird die Deutschlandpremiere einer Cluster-Kreation aus Musik, Tanz, einem Chor mechanisierter Grammophone, Filmprojektionen und Schattenspiel. So verweigert sich „The Head and the Load“ (9.-11.8.) jedem Genre und jedem normalen Theaterraum. Dabei setzt sich der südafrikanische Regisseur in der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord inhaltlich mit einer fast unbekannten Facette des Ersten Weltkriegs auseinander, als damals mehr als zwei Millionen Menschen aus dem afrikanischen Kontinent von den Kolonialmächten gezwungen worden, in den Krieg zu ziehen.
Auch in der Bochumer Jahrhunderthalle wird es künstlerisch kontinental. Regisseur Christoph Marthaler will mit seiner Musiktheater-Produktion „Universe, incomplete“ (17.-25.8.) erstmals das komplette Bauwerk bespielen. Gemeinsam mit dem Dirigenten Titus Engel und der Bühnenbildnerin Anna Viebrock installieren sie dort aus Notizen, Skizzenblättern und Partiturseiten eine unvollständig gebliebene Vision des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1875–1954).
Viel realer und besorgniserregender ist die Geschichte von Diamante (24.8.-2.9.). Das ist eine ganze Stadt im Privatbesitz eines Unternehmens und die gibt es nicht nur in Lateinamerika. Für die Ruhrtriennale baut der in Buenos Aires geborene Filmregisseur, Theatermacher und Schriftsteller Mariano Pensotti in die Kraftzentrale in Duisburg ein begehbares Modell von Diamante. Das Szenario wird zum Horrortrip gespielt von der Grupo Marea und deutschen DarstellerInnen. Im Laufe eines Jahres verwandelt sich die Stadt von einer florierenden sozial-kapitalistischen Utopie in ein präapokalyptisch anmutendes Horrorszenario.
Vor der Jahrhunderthalle in Bochum gibt’s leider wieder Basteln auf gehobenem Niveau. Diesmal steht da ein ausrangierter Flieger, seine Filetiertheit macht bestimmt ein ganz tolles zeitgenössisches Feeling. Nach dem (natürlich) niederländischen Kollektiv van Lieshout (gähn) jetzt also die Künstler- und Architektengruppe „raumlaborberlin“. Das hat nix mit Kunst, eher was mit Pseudogigantismus zu tun, an dem schon meine alte Ikone Bill Viola damals im Gasometer gescheitert ist.
Ruhrtriennale 2018 | 9.8. - 23.9. | www.ruhrtriennale.de
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