Die Tragödie eines jeden Morgens. Der Wecker klingelt zum wiederholten Mal. Raus aus den Federn, rein in die Klamotten. Ab in die Penne. Noch scheint der Blick etwas vernebelt. Irgendetwas hat sich dort verändert. Erstmals steht das Fringe-Zelt nämlich auf dem Schulhof des Gymnasiums Petrinum. Dort und an zwei weiteren Spielorten zeigen die Ruhrfestspiele die diesjährigen zwölf freien Inszenierungen aus neun Ländern. Das Fringe-Festival ist der Importschlager in Recklinghausen. Bereits zum fünften Mal präsentieren sich die, die mit bescheidenem Etat und geringen Mitteln große Kunst machen.
Wie der Brite Simon McBurney. Auch er hastet aus dem Haus, geht, nicht wie sonst links, aus Versehen rechts um den Häuserblock und findet nicht wie gewohnt zur Arbeit. Doch er entdeckt eine neue kleine Welt für sich, die ihren eigenen Regeln folgt. Aber auch den Regeln der Gefahr. Lost Spectacles ist eine frische, aufregende Gruppe aus Bristol – Lost In The Wind ist ihr erstes Stück. Der Franzose Rémy Balagué braucht nur einen Tisch, und der ist aus Holz. Die knappe Stunde, in der er damit den Saal bespielt, verzaubert. Ein großartiges, stilles, kurzweiliges Spektakel von höchster Akrobatik. Ein wilder Kontrast zu Pretty Subfrau aus Norwegen. Keines der ewigen Themen im nordischen Geschlechterkampf zwischen Strindberg, Ibsen und Kierkegaard bleibt verschont. Es wird dreckig und vulgär. Kein Programm für die ganze Familie. Schon eher „Entertainment Island“. Die Wirkungsmechanismen des Showgeschäfts sind Thema dieses Programms, das mit Tanz, Performance-Kunst und Satire die Stereotypen des Unterhaltungsgewerbes vorführt und sie mit Witz dem Gelächter ausliefert. Die finnische Gruppe Oblivia gewann 2008 den Junge Hunde-Preis beim Festival im dänischen Arhus.
Beim Edinburgher Fringe-Festival schlugen dagegen Paperbirds wie eine Bombe ein. Sie schlugen tatsächlich wie eine Bombe ein: drei Wochen ausverkauft, der Fringe Award of Excellence, Nominierungen für die beste Ensembleleistung und die beste Nachwuchs-Kompagnie. Dabei ist ihr Programm „In a thousand pieces“ radikal sozialkritisch. Von dem Schicksal einer jungen Frau handelt dieser Abend, die als Sexsklavin nach Westeuropa verkauft wird.
Aus der Berliner Kulturszene kommt: Ein Herz ist kein Fußball. Die Botschaft: Den Fußball musst du treten, das Herz aber nie! Behandle es wie ein rohes Ei. Eine Geschichte über die Liebe erzählt das Theater Rambazamba. Dieses Ensemble aus der Kulturbrauerei auf dem Prenzlauer Berg ist eine ganz besondere Truppe. Regelmäßig wird seit einem Jahrzehnt Theater und Zirkus gespielt, man unterhält Kunstateliers, eine Keramikwerkstatt, ein Textilatelier, Fotolabors und andere Projekträume. Es ist ein Künstlerhaus für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung – einzigartig in Deutschland. Und die Aufführungen gehören zu den Highlights der Berliner Szene.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Der Zweifel als politische Waffe“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Premiere 05/25
Gegen den ewigen Zweifel
Die Ruhrfestspiele 2025 in Recklinghausen – Prolog 04/25
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
Gaga goes Recklinghausen
„Soul Chain“ bei den Ruhrfestspielen – Tanz an der Ruhr 05/23
In stürmischen Höhen
Mithu Sanyal bei den Ruhrfestspielen – Literatur 04/23
„Ich bin nicht außer mir vor Wut, im Gegenteil“
Olaf Kröck über die Recklinghäuser Ruhrfestspiele und Theater in Kriegszeiten – Premiere 04/23
Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22
Die im Dunklen sieht man nicht
„Dreigroschenoper“ im Rahmen der Ruhrfestspiele – Auftritt 07/22
Keine Berührungsängste
Ivo van Hove leitet ab 2024 die Ruhrtriennale – Theater in NRW 06/22
„Es geht um gesellschaftsrelevante Inhalte“
Intendant Olaf Kröck über die diesjährigen Ruhrfestspiele – Premiere 04/22
Wenn Rennlärm die Dialoge übertönt
René Polleschs „Goodyear“ bei den Ruhrfestspielen – Auftritt 07/21
Mit Juliane Werding im Rettungswagen
Denis Scheck im Gespräch mit Joachim Meyerhoff – Festival 06/21
Arbeitskampf und Dekolonisation
Das IFFF 2025 in Dortmund und Köln – Festival 04/25
Ungeschönt aufs Leben blicken
32. blicke-Filmfestival in Bochums Endstation Kino – Film 01/25
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Filmgeschichten, die das Leben schreibt
Neue Dokumentarfilme aus einer verrückten Welt – Festival 01/24
Hattingen, Tian’anmen, Weltall
Weitblick-Preis für „Hochofen II“ beim Filmfestival blicke – Festival 12/23
Humanoide Blumen
„Speaking Flowers“ beim Filmfestival blicke – Festival 12/23
Grenzen und Gewalt
31. Filmfestival blicke in Bochum – Festival 12/23
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
Komplizinnenschaft
Das IFFF bietet einen Blick auf feministische Solidarität – Festival 04/23
„Man muss sich über alte Zöpfe Gedanken machen“
Clemens Richert zur 44. Auflage der Duisburger Akzente – Festival 03/23
„Die Sichtung ist das Highlight!“
Katharina Schröder zum 30. Jubiläum des blicke Filmfestivals – Festival 01/23