Einfach auf den Rücken legen, ein Kissen unter den Kopf, Augen schließen und zuhören. Viele Formen sind denkbar, Musik live zu genießen. In den Zeiten der Entschleunigung und des Chillens verwundert es nicht, dass wache Musiker der aktuellen Musikszene immer deutlicher das Wohl ihres Publikums ins Visier rücken. Gewannen doch besonders die engelsgeduldig treuen Fans der Improvisierten Musik über Jahre den Eindruck, dass die echten Ego-Monster gar nicht bei der Bank, sondern auf Clubbühnen abräumten und ihre Gefühlswelten in drastisch abstrakten Klangformen winselnd bis brüllend einigen wenigen Freidenkern zwar in chaotischer Dosierung, aber doch als Errettung vor der Abteilung „Gewinn-optimiertes Einspielen“ anpriesen – heute wird Musik verabreicht wie eine Medizin.
Das Label „achtkomma3musik“ ist noch neu, wurde aber bereits für Meditatives ausgezeichnet. Der Kölner Schlagzeuger Peter Kahlenborn gründete diese Marke für sich und seine kreativen Freunde, mit denen er jetzt im Kölner Loft an zwei Tagen ein kleines, aber hochkarätiges Festival veranstaltet. Der Titel „Wieder frisch im Tempo“ umreißt besonders die Aktivität des Trommelmeisters, der als Spiritus rector in viele Projekte des Festes verstrickt ist.
Er erklärt den Labelnamen: „Die Zahl 8,3 (Hz) ist als symbolischer (Mittel-) Wert zu verstehen. Verschiedene Phänomene aus der Wissenschaft deuten auf diesen Frequenzbereich als ‚Telefonnummer der Intuition‘ hin:
Neurowissenschaftler unterscheiden Schwingungszustände unseres Gehirns in den sogenannten ‚Alpha Bereich‘ (8-12 Hz) und ‚Theta Zustand‘ (3-8 Hz). Im Grenzbereich zwischen beiden schwingt unser Gehirn im Zustand kreativen Schaffens, der Meditation oder Entspannung. Den Tiefen des ‚Theta Zustands‘ werden Intention und außersinnliche Wahrnehmung zugeordnet.“ Und mit bestimmten Frequenzen will die Forschung sogar schwere und chronische Leiden beheben können.
Das aktuelle Fest ist aber keine Therapie-Veranstaltung, sondern schlägt einen sehr weiten Bogen über Klassische und Neue Musik bis zum aktuellen Jazz. Dabei darf beim Sänger Tobias Christl mitgesungen werden, Werke eines vergessenen Komponisten werden eingespielt und variiert, ein Trio namens „Fischblase“ verarbeitet auch Pop und Rock. Mit Kahlenborn und Drummer Jens Düppe können die Gäste „Klang(T)raumfahrer“ werden, in einer zweiten Konzertphase darf selbst Instrumentarium beackert werden. Die Instrumente wurden zur besseren Gewöhnung alltäglichen Arbeitsprozessen entliehen und umfunktioniert.
Mit Tobias Christl bildet der erfolgreiche Komponist und Pianist Jürgen Friedrich ein Duo, dem sich jetzt der Festivalgast Julian Argüelles, ein britischer Saxophonist der Sonderklasse, zugesellt. Auch Konstanten der Szene wie der junge Pianist Pablo Held sind dabei, wenn dieses kreative Großteam zwei Konzertabende in der Avantgarde-Schmiede Loft inszeniert. Kahlenborn verspricht nicht nur beim Fischblasenkonzert: Hier darf frau/man sich glücklich hören.
„Wieder frisch im Tempo“ I14./15.6. 20 Uhr (Fr)/17 Uhr (Sa) I Loft, Köln I www.loftkoeln.de
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