Ein Raum, auch nicht der größte. Nur drei Leihgaben. Drei Gemälde von 2015 reichen im Museum Folkwang, um gemeinsam mit zwei eigenen Bildern der 1950er Jahre einen der großen radikalen Maler der Gegenwart vorzustellen. Der 1919 geborene Pierre Soulages arbeitet bereits seit dreieinhalb Jahrzehnten mit einer Farbe und die ist auch noch – nur zeitweilig in Verbindung mit Blau und Spuren von Weiß – das Schwarz. Seine meist großformatigen Bilder bestehen aus gleichmäßigen Abfolgen langer breiter Pinsel- und Spachtelbahnen in horizontaler, vertikaler und schräger Ausrichtung oder ausgreifenden Abwärts- bzw. Aufwärtsbewegungen. Im handschriftlichen Auftrag weichen diese bewusst von der Strenge des Rasters ab. In der Dynamik und Zielstrebigkeit ihrer Abfolge scheinen ebenso Kalkül wie Emotionalität auf. Die Textur wechselt zwischen matt und glänzend, aufgeworfenem Grat und plan geschobener Fläche. Zugleich variiert das Format von Bild zu Bild. Früher mit Öl- und heute mit Acrylfarbe, sind mittlerweile hunderte solcher reliefartiger, ja, materialbetonter Bilder entstanden, darunter etliche mehrteilige. Die größte Sensation dieser Malereien aber ist das Licht. Als Folge der leicht kippenden Texturen wird Schwarz nicht als Dunkelheit, sondern als Helligkeit wahrgenommen; es besitzt zugleich eine immense Tiefe und undurchdringliche Absolutheit.
Es ist aufschlussreich, dass dazu jetzt die frühen Bilder zu sehen sind, mit denen Soulages lange zuvor seinen internationalen Durchbruch hatte. Seine erste Museumsausstellung in Deutschland fand 1960 statt, und zwar hier, im Museum Folkwang. Beeindruckt von der Strenge romanischer Kathedralen und beeinflusst u.a. von Sonja Delaunay, malte Pierre Soulages bereits in den 1940er Jahren in Paris ungegenständlich mit wenigen dunklen Tönen vor einem changierenden hellen Farbraum. Zur Sachlichkeit gehörte schon damals der Verzicht auf einen erzählerischen Titel. Er beschränkt sich auf die technischen Angaben und das Datum – was übrigens auch andere Maler aus dem Umfeld der informellen und expressiven abstrakten Kunst gemacht haben. Aber seine Bilder unterscheiden sich in ihrer Tektonik und Statik von der gestischen Individualität, die derartige Richtungen kennzeichnet. Das belegen nun auch die beiden ausgestellten Gemälde aus der Sammlung des Museum Folkwang. Das ältere Bild von November 1952 zeigt stufenweise angeordnete, exakt gezogene braune horizontale Bänder vor einem beigen Grund. Schon da ist der konzentrierte Umgang mit dem Pinsel kennzeichnend, der dann im Gemälde von März 1955 verstärkt vorliegt. Dort sind die Felder vertikal ausgerichtet, vorherrschend sind Schwarz wie auch Weiß. Mit solchen Bildern nähert sich Soulages im Laufe der Jahre der Ausschließlichkeit des Schwarz, die er 1979 erreicht. Er selbst spricht bei diesen Gemälden vom „Outrenoir“: von Manifestationen jenseits von Schwarz. Die Oberflächen werden zur Materialisation von Licht, sind stofflich und unbegreiflich zugleich. Natürlich schwingen Assoziationen an die Nacht mit. Pierre Soulages, der auch das Schwarz aus einem Pigment als Ausdruck vieler Farben versteht, begreift seine Bilder als „inneren Raum“. Dazu passt, dass er vor drei Jahrzehnten für die Abtei von Conques 104 Glasfenster entworfen hat – eines seiner Hauptwerke.
Das Museum Folkwang bezeichnet Soulages in seiner Presseankündigung als „Meister der Abstraktion“, das ist zweifelsohne richtig, klingt aber hilflos und muss vielleicht nicht so betont werden. Wie wäre es, in den Strukturen und der Vollkommenheit des Schwarz die Gerichtetheit und das Mystische von Kathedralen wiederzufinden – so dass sich der Kreis zum Frühwerk in Soulages‘ Kunst schließt.
„Pierre Soulages – Le noir“ | bis 26.6. | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 54 44
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