Was für eine Wucht, die den Betrachter im Neubau des Osthaus Museums empfängt! Die Ausstellung von Johannes Heisig geht gleich voll zur Sache. Im expressiv malerischen Vortrag aus vielen Farbschichten springen die Protagonisten der Bilder ihrem Publikum geradezu entgegen und ziehen es zugleich in die Szenerien hinein. Ein glühendes Leuchten dringt zwischen den erdigen Tönen hervor und steigert die Gleichzeitigkeit verschiedener Ereignisse. Die Perspektive wechselt abrupt, der Pinselstrich verschleift die Figuren und doch vermitteln die Körperhaltungen und die Mimik die Brisanz der Ereignisse.
Etwas abseits hängt das frühe Gemälde „Der Aussichtsturm II“ (1982). Es zeigt die Perspektive von einem Turm, wohl einer Kathedrale. Einerseits geben die absteigenden Personen die Sicht vor, andererseits zieht der Sog der Straßenschlucht in die Tiefe: Ein Bild gegen die Höhenangst! Vielleicht bezieht es sich noch auf Heisigs damalige Jahre in der DDR mit dem Versuch der Abstandnahme und Übersicht – mit der Malerei als Methode. Johannes Heisig wurde 1953 in Leipzig geboren. Er hat dort zunächst studiert und das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden fortgesetzt. In Dresden wurde er später zum Professor für Malerei und Grafik berufen und war ab 1989 auch Rektor. Aber schon 1991 hat er seine Ämter niedergelegt und konzentriert sich seither ganz auf seine Malerei.
Figurenmaler war Johannes Heisig schon immer. Die Malerei befragt anfänglich die Identität, indem er sich und seine Freunde im privaten Ambiente zeigt und die Figuren aus Farbblöcken aufbaut. Noch in den 1980er Jahren löst Heisig die Figuren im Bildraum auf, zeigt sie nun frontal und betont dadurch die Gestik. Zugleich fährt er die Farbigkeit zurück. Ein zentrales Thema ist seither die Großstadt in ihrer brodelnden Unruhe: voller Menschen oder wie entleert.
Übrigens zeigt Tayfun Belgin als Direktor des Osthaus Museums mit Johannes Heisig nach Volker Stelzmann und Matthias Morgner einen weiteren Künstler, der in der DDR begonnen hat. Und so wie diese beiden Künstler hat Heisig eine eigene Art der Skepsis gegenüber jeder politischen und gesellschaftlichen Vereinnahmung entwickelt. Seine ebenso differenzierte wie leidenschaftliche Beobachtungsgabe bestätigt etwa das Gemälde „Romantiker über Hackeschem Markt“ (1997/2016), das selbstironisch das Zurechtfinden mitten in Berlin beschreibt. Als Programmbild zeigt es auch, was Johannes Heisig fasziniert. Es schildert das allmählich begreifende Sehen: erstaunt darüber, wie die Stadt in Bewegung bleibt, Krisen hervorbringt und sich feiert.
Indes hat sich bei Johannes Heisig 2015 etwas Wesentliches geändert. Er hat das Atelier aufs Land nach Brandenburg verlegt. Die Ausstellung in Hagen beinhaltet etliche der seither entstandenen Landschaftsstücke, und sie zeigt im Obergeschoss auch die Werkgruppe „Requiem für eine Hornisse“ (2016-17). Einziges Motiv ist das Insekt, das Heisig rabiat in seinem Zerstört-Sein und doch hingebungsvoll schildert. Heisig, der auch ein grandioser Porträtmaler ist, widmet sich noch dem kleinsten Ding mit Ernsthaftigkeit und Intensität: hier wie in allen seinen Bildern.
Johannes Heisig – Klimawechsel | bis 19.5. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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