Arbeit. Arbeit. Arbeit. Nichts prägt das Ruhrgebiet so sehr wie der Mythos einer sich immer im Arbeitsprozess befindlichen Region. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft vermischen sich mitunter, selbst der Tourismus hat sich dieser Mär angepasst, nach dem endlich erreichten „blauen Himmel über der Ruhr“ wird nun eine Vergangenheit zelebriert, deren nichtvirtuelle Realität eher gruselig und giftig war und Menschen verbraucht hat wie Verschleißteile eines zu lange gelaufenen Motors.
Seit 2005 lädt die Emschergenossenschaft jedes Jahr Fotografinnen und Fotografen unter dem Label „Bridges“ ein, sich mit dem gewaltigen Umbau des Fluss-Systems auseinanderzusetzen. Wasserwirtschaftlich ist diese Erneuerung ein Kraftakt ohne Beispiel, der nicht nur den Lebensraum und das Lebensgefühl von Millionen Menschen zwischen Dortmund und Dinslaken verändert, sondern auch etwas zur Verwischung des übermächtigen postindustriellen Mythos beitragen könnte.
„Concrete Poetry“ heißt die Ausstellung im Kunstmuseum Bochum, die erstmals die gesamte Vielfalt der künstlerischen Arbeiten der BRIDGES-Sammlung zeigen. Auf 1.000 Quadratmetern sind rund 300 Bilder zu sehen. Im ersten Stock wird die Präsentation durch einen mit Wasser gefüllten Kanal geteilt, der den ehemaligen stinkenden Abwasserkanal darstellt. Nur zwei Brücken machen die Wege lang, das Betrachten manchmal schwer. Viel Zeit sollte man mitbringen, denn alle Blicke auf eine Landschaft im Umbruch sind durchweg sehenswert – ein wunderbares Archiv, gerade Vergehendes und nie Gesehenes zu erkunden, zu genießen oder nur zu betrachten. Oft macht sich der Eindruck breit, dass diese Region kaum Raum für Fröhlichkeit zu bieten scheint, die Portraitierten blicken meist ernst, oft abgearbeitet oder visionslos in die Zukunft, viele Industrieruinen recken sich aus leeren Flächen empor oder scheinen sich vor ihrem Vergehen zu ducken.
Kein Wunder. Es war die Montanindustrie, die aus der rund 80 Kilometer langen Emscher die „Kloake des Reviers“ machte: einen oberirdischen Abwasserkanal, eingezwängt in Betonschalen. Bergsenkungen infolge des Kohleabbaus machten den Bau von unterirdischen Kanälen früher unmöglich. Mit dem Niedergang von Kohle und Stahl konnte Anfang der 1990er Jahre der wasserwirtschaftliche Umbau des Emscher-Systems beginnen. Auf einer Länge von 400 Kilometern baut die Emschergenossenschaft für jedes Gewässer ein unterirdisches Pendant, einen Kanal für das Schmutzwasser. Sie befreit Bäche aus dem Beton, und dort, wo der Platz es zulässt, führt sie die einst technisch begradigten Wasserläufe wieder in ein kurvenreiches Bett. Es ist eines der größten und wichtigsten Projekte, die der Zeitgenosse in dieser Region erleben darf. Was daraus werden könnte und zum Teil schon entstanden ist, zeigt die Serie „Emscherland“ (2006) des 2010 verstorbenen Fotografen Werner Köntopp. Sie zeigt eine verwunschene Auenlandschaft zwischen Gelsenkirchen und Herten, die man dort kaum vermuten würde, und in der sich bereits seltene Vogelarten wie Eisvogel, Waldschnepfe und Rohrdommel angesiedelt haben.
„Concrete Poetry“I bis 27.10. I Kunstmuseum Bochum I 0234 910 42 30
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