Das war nicht das Wirklichkeitsversprechen, das der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Friedrich Balke meinte: Bei der Anmoderation war das Mikrofon ausgeschaltet. Gemerkt hat keiner, dass die Stimme leiser als vom Mikro versprochen in den Veranstaltungssaal des Blue Square drang. Auch Friedrich Balke braucht keines, um mit seiner These des Wirklichkeitsversprechens der Medien einzusteigen.
Dafür wählt er eine Laborszene aus der fünften „Breaking Bad“-Staffel: Gael Boetticher und Walter White kommen darin auf Walt Whitmans Gedichtband „Grashalme“ zu sprechen. „Eine poetische Präsenz an einem so ungewöhnlichen Ort wie dem Labor“, kommentiert der RUB-Dozent die an die Wand projizierte Szene.
Worauf der Medienwisseschaftler aber hinaus will, ist etwas Banales wie Entscheidendes: In der Serie wird der Lyrik-Band zu einer Art Hinweis, eine Plotwendung, die sich aus dem Spiel der Initialen W.W. (Walt Whitmann und Walter White) ergibt – erst mit der Buchform erhalten Gedichte eine Dokumenthaftigkeit oder wie es Balke zusammenfasst: „Objekte als solche können Infospeicher sein, auch wenn sie es nicht sein wollen.”
Filmtheoretiker und -kritiker: Siegfried Kracauers wegweisende Thesen
Der Serienprotagonist muss für die wesentlichen Infos nicht mal das Buch öffnen – sie stehen auf dem Cover, auf der Oberfläche, womit Friedrich Balke dann auch zum Kapitel Siegfried Kracauer kommt. Für den Filmtheoretiker, Journalisten und Soziologen (unter anderem „Von Caligari zu Hitler“) spielten Oberflächenstrukturen eine wichtige Rolle. Bei dem Denker der frühen Frankfurter Schule war es natürlich die Leinwand. Umso aktueller erscheinen daher, wie Balke verdeutlicht, Kracauers Ausführungen in seiner „Theorie des Films“ in der gegenwärtigen, postkinematographischen Rezeption von Filmen, die auf flachen Medien wie Notebooks oder Tablets konsumiert werden. „Die neuesten Medien, die uns tagtäglich begleiten, lösen ein, was Kracauer darstellt“, so Balke.
Ohne Selfie schicke ich nichts oder das „antizipiert alltagsperformative Zeitalter“
Als gutes Beispiel führt Balke Andy Warhol an: „Warhol führte nicht Regie, sondern Protokoll“. Für ihn eine Art von Medienkultur, wie sie heute mit Selbstdokumentationen oder Selfies fortgesetzt wird. „Da kann man sich ja fragen: was passiert da eigentlich?“ Angesichts dieser permanenten technischen Aufnahme(möglichkeiten) geht Balke auf Kracauer zurück, für den ein performativer Umgang mit (Medien)Technik entscheidend gewesen sei. Denn Kracauer sprach oft von der „physischen Realität“ des Films, der das „Gewebe des täglichen Lebens“ zeige, Film als „Endlosmedium.“ Die Frage nach der filmischen Wirklichkeitswiedergabe, nach dem Dokumentarischen sei daher nicht in der Abbildfunktion verortet: „er verschiebt diese Frage von der Ebene der Repräsentation auf die Verkettung“, fasst Balke zusammen.
Wovon Kracauer spreche, sei ein „antizipiert alltagsperformatives Zeitalter.“ Und wir, die wir alles mit Smartphone-Kameras festhalten, um es sofort weiter zu senden, scheinen schon mittendrin zu stecken.
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