Didier Eribons großartig erhellendes Buch „Rückkehr nach Reims“ hat auch noch einmal deutlich gemacht, wie sehr der Zugang zu Kultur eine Frage der sozialen Klasse ist. Wie kleidet man sich im Theater? Worüber spricht man in der Opern-Pause? Wer an diesen Fragen verzweifelt, ist längst nicht verloren für alle Angebote, auf denen Kultur steht. Weil es Orte wie das Kulturcafé der Ruhr-Universität gibt.
Das Multifunktionsding mit Bar, Gastraum, abtrennbarer Partyhalle und Bühne stammt aus einer Zeit, als man gern Binnenmajuskel verwendet. Es heißt also korrekt KulturCafé, ist im vergangenen Oktober 20 Jahre alt geworden und ein Bollwerk gegen die Zeit. Bunt zusammengewürfelt stehen helle Holztische und -stühle, Kunstleder-Sessel und -Sofas, Barhocker und Stehtische im Raum. Über der leicht erhöhten Bühne hängen bunte Scheinwerfer für die nächste Band, das nächste Improtheater oder für Vortragende.
Auf dem hellen Holztresen liegt ein schwarz-weiß kopiertes Din-A4-Blatt mit dem Januarprogramm. Nur ein Programmpunkt zeigt an, dass es für Januar 2018 und nicht Januar 1998 wirbt: Power-Point-Karaoke gab es damals noch nicht. Heute zieht es um die hundert Studierenden ins Café, die Power-Point-Präsentationen halten, die ihnen völlig unbekannt sind. Wie die Rock Uni Bochum, die Reihe Wohnzimmer-Akustik oder die Bochumer Improtheater-Session wird die Karaoke vom Kulturbüro Boskop organisiert, das zum örtlichen Studentenwerk gehört und für einen Großteil des Programms im KulturCafé sorgt.
Bei seinen Stammtischen des Programms Study Buddy lernen internationale Neuankömmlinge Studierende von hier kennen – und werden vielleicht nie vergessen, wo sie beim Kaffee für 1,20 € oder beim gezapften Brinkhoffs (0,3 l für 2 €) ihren ersten Zugang zur deutschen Gesellschaft gefunden haben. Und vielleicht lernen sie auch Hüseyin Bali kennen, der meistens hinterm Tresen steht, manchmal schlecht gelaunt wirkt, eigentlich aber ziemlich nett ist. Vor 22 Jahren erfuhr er als Student im Deutschkurs, dass der AStA Hilfe beim Aufbau des künftigen KulturCafé sucht, heuerte für zehn Mark die Stunde an und blieb bis heute dabei.
Die ASten, die das Café formal immer noch betreiben, sind seitdem oft gewechselt. „Aber egal welcher AStA – alle sind für Kultur“, sagt Hüseyin. Obwohl es seit Jahren keine linke Studierendenschaft mehr an der Ruhr-Uni gibt, haben hier sogar die Veranstaltungen der marxistischen Zeitschrift „Gegenstandpunkt“ überlebt: Sie lud zum Beispiel im Januar unter dem Monstertitel „Ein Rezept gegen unzeitgemäße Armut? – Das ‚bedingungslose Grundeinkommen‘ und sein unheimlicher Freundeskreis beweisen: Der Kapitalismus ist einfach unverbesserlich!“ zu Vortrag und Diskussion.
Hüseyin Bali und sein Team sorgen dafür, dass das KulturCafé bleibt wie es ist: „Wir sind alternativ, wir wollen kein Schickimicki.“ Für Kaffee-Kreationen wie von Starbucks sollen die Studierenden woanders tief in die Tasche greifen – bei ihm lieber zu Backgammon-Steinen oder der taz, die immer auf dem Tresen liegt. Was ihm allerdings auffällt: Die Gäste bei kulturellen und politischen Veranstaltungen werden nicht mehr. „Früher hatten die Studierenden mehr Zeit und Muße“, ist seine Beobachtung. Das könne am Zeitdruck des verschulten Bachelor/Master-Systems liegen, aber Hüseyin glaubt auch, dass die innere Einstellung eine Rolle spielt: „Viele sind heute schon im Studium Karrieristen.“ Aber bitte nicht im KulturCafé.
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