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Gert & Uwe Tobias
courtesy Kunsthalle Recklinghausen

Eine Geschichte des Bergbaus

30. Mai 2018

Gert und Uwe Tobias in der Kunsthalle Recklinghausen – kunst & gut 06/18

Was für ein genialer Ausstellungstitel! Ein einfaches „auf“ reicht völlig, und natürlich hatten die verschiedenen Redner bei der Eröffnung allerhand Vorschläge, wie es gemeint oder fortzusetzen wäre – „aufmerksam bleiben“ oder „aufbrechen“ – und ob nicht noch der Bergarbeiter-Wunsch „Glück auf“ mitschwänge. Dieses Öffnen eines atmosphärischen Resonanzraumes ist nun ebenso kennzeichnend für die Ausstellung selbst, die Gert und Uwe Tobias auf allen drei Ebenen im Recklinghäuser Hochbunker eingerichtet haben. „auf“ ist die diesjährige Kunstausstellung der Ruhrfestspiele und zugleich der Beitrag Recklinghausens zum konzertierten Projekt „Kunst & Kohle“ der RuhrKunstMuseen. Referenz dieser zeitgleichen Ausstellungen, aber auch ganz direkt der Schau in der Kunsthalle ist der Abbau der Steinkohle mit der Schließung der letzten Zeche im Ruhrgebiet.

Natürlich ist damit die Tendenz des Illustrativen für die Ausstellung vorgegeben, zumal die Schau als aufeinander aufbauender Parcours inszeniert ist. Und die in Köln lebenden Zwillingsbrüder haben nichts dem Zufall überlassen. Ihr künstlerischer Beitrag beginnt mit der Wandfarbe mit ihren Streifen (die wie ein Leitsystem für labyrinthische Raumfolgen wirken) und der Verdunkelung, und er kommt noch in der analogen Anlage der Stockwerke übereinander zum Ausdruck. Die Skulpturen aus Keramik und ihre additiven Ensembles nehmen die figurative Sprache der großformatigen Holzschnitte auf Leinwand auf, wobei sie (ebenso wie die hier nicht gezeigten kleinformatige Collagen und Schreibmaschinenzeichnungen) parallel entstehen.

Gert und Uwe Tobias wurden 1973 in Braşov in Rumänien geboren, 1998-2002 haben sie an der Kunstakademie Braunschweig in der Klasse von Walter Dahn studiert. 2004 wurden sie mit dem renommierten Peter-Mertes-Stipendium in Bonn ausgezeichnet, seit dieser Zeit haben sie sich innerhalb kurzer Zeit international etabliert. Ihre figurative Kunst ist originell – schon mit dem monumentalen Holzschnitt – und sie lässt sich nie ganz ausdeuten. Frühe Bezüge ihrer collagenartig zusammengefügten Figurinen im weitgehend entleerten Innenraum sind die Folklore ihrer Heimat Siebenbürgen und die osteuropäische Volkskunst: Aspekte, die noch in den aktuellen Bildern anklingen. Im Kontext des Ausstellungsthemas und im Dialog mit den anderen Werken besitzen sie jetzt zusätzlich ein hohes erzählerisches Potential. Der Zugang zur Ausstellung ist auf eine schmale Rampe verengt, die, durch stützende Balken verstellt, auf ein angestrahltes Frauenporträt führt, bei dem es sich nach Auskunft der Künstler um die Heilige Barbara von Nikomedien handelt. „Es gleicht dem ‚Einfahren‘ in ein System von schmalen Gängen sowie Räumen und imaginiert den Einstieg in dunkle Tiefe“, hat Hans-Jürgen Schwalm, der Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, dazu geschrieben.

Im Verlauf der Ausstellung verdichten sich vor allem durch die skulpturalen und installativen Elemente die Bezüge zum Bergbau unter Tage, während die Holzschnitte frei assoziativ zu verstehen sind. Genau in der Mitte der Ausstellung ist ein Raum im Raum eingerichtet, der wie ein Allerheiligstes wirkt, mit dem hohen Potential an Pathosformeln. Zugleich deutet sich eine Ikonographie hin zu den Begriffen, Riten und Mythen des Bergbaus an, die gar nicht im Einzelnen verstanden werden muss, vielmehr intuitiv aus sich heraus wirkt. Und dann, nachdem die atmosphärische Verdichtung im ersten Zwischengeschoss am größten war, erfolgt der „Aufstieg“ ins Obergeschoss, was wie die Rückkehr ans Tageslicht beschrieben ist. Die Holzschnitte sind nun abstrakt und entleert und zeigen kaum mehr als einen Wolkenhimmel. Oder Vögel. Und mittendrin ragt eine reduziert organische Stele in die Höhe: vielleicht ein Fetisch, noch dazu abgeleitet von den Skulpturen des großen rumänischen Bildhauers Constantin Brancusi? Man sollte bei der Ausstellung immer die Heimat im Hinterkopf behalten: die von Gert und Uwe Tobias und die der Bergbauregion mit ihrem hohen Identifikationspotential bei der Bevölkerung. 

Gert & Uwe Tobias: „auf“ | bis 9.9. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35

Thomas Hirsch

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