Weiß, miniaturisiert, Zahlen vom Band. Das soll eine Ausstellung über die Selbstdarstellung des Künstlers im eigenen Werk sein? Und was hat Billy Idol mit bildender Kunst zu tun? Fragen über Fragen, schon kurz nachdem man bemerkt hat, dass man gerade Félix González-Torres Blutvorhang (1992) durchschritten hat. Und Billy stiftete wohl den Titel im Essener Folkwang Museum: „Dancing with Myself“. Und die Relationships zwischen Künstler und Arbeit sind vielfältig: Still aber spektakulär, Alighiero Fabrizio Boettis „Autoritratto“ (Bronze und elektrische Hydraulik, 1993-94), kurz vor seinem Tod entstanden: Eine kleine Bronzefigur, die sich über einen Schlauch echtes Wasser aufs Haupt schüttet. Ebenso wahnhaft auch Roman Opalkas Selbstportrait als weißes Triptychon vom Eingang. Manisch und akribisch vervollständigte der Konzeptkünstler es ab 1965 mit titanweißer Farbe und dem kleinsten verfügbaren Pinsel. Alles begann mit der Zahl „1“ in der linken obere Ecke und sollte in die Unendlichkeit führen und dabei die Zeit einfangen. Das Projekt endete mit seinem Tod 2011.
Das Spiel mit den Identitäten beherrscht Cindy Sherman wie kein anderer Künstler, ihre Fotoserien sind heute fast der Versuch, in der Nichterkennbarkeit aufzugehen und dabei Eigenschaften zu suggerieren, die im Privaten vielleicht nicht vorstellbar sein mögen. Mehr als einen ganzen Raum füllt die Pinault Collection gleich mit ihren Werken, die Essener Themenausstellung aus den Sammlungen des französischen Multi-Milliardärs François Pinault macht das locker möglich, denken Sie daran wenn Sie das nächste Mal ein Gucci-Hemdchen oder einen Puma Turnschuh kaufen. Aber die Qualität und die Bandbreite der ausgestellten Werke sind klasse. Schön, auch mal wieder Rodney Grahams Video „City Self/CountrySelf“ von 2000 (35mm auf DVD) zu sehen, auch er spielt ja gern mit Identitäten, oder zwei der echt frühen Bruce-Nauman-Videos „Bouncing in the Corner No I“ (1968) und „Lip Sync“ (1969).
Ein echter Hingucker ist auch Maurizio Cattelans Selbstportrait „We“ (2010). Ich zitiere: aus Glasfaserkunststoff-Struktur, Polyurethangummi, Holz und Kleidung. Wer jetzt weiß, wie das aussieht, schaue auf das Foto oben, die beiden sind gerade mal 1,40 groß, aber jeder Besucher will immer sehr nah heran ans Bettchen. Passenderweise steht es in einem Raum mit frühen Arbeit von Gilbert und George aus den 70ern. Diese Präsentation ist es wert besucht zu werden, nicht nur wegen Sherman oder Helmut Newton. Auch wegen Martin Kippenberger und Boris Mikhailov. Der ukrainische Fotograf wurde erst nach dem Zerfall der Sowjetunion bekannt, er hat Ende der 90er Jahre Obdachlose in der Ukraine nackt fotografiert, wenn es sein musste auch im Schnee. Sein Selbstportrait-Triptichon zuhause von 2014 ist auch nicht ohne Pepp. Raus geht es dann wieder mitten durch die Kippenberger und einem letzten HD-Einkanal-Video von Hito Steyerl in einer Flachbildschirm-Installation an zwei freistehenden Stangen: „Strike“ (28 Sekunden Loop, 2010).
„Dancing with Myself“ | bis 15.1. | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 50 00
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