Nicht erst seit The Bangles gibt es diese manischen Montage. Den Kater vom Vortag in den Knochen, in der Woche längst noch nicht angekommen. Die Montagsmüdigkeit der Menge bekommt auch der Support-Act Raketenkind zu spüren. Solidem Elektro mit Popkomponente zum Trotz will die Stimmung nicht recht von der Bühne schwappen. Die üblichen Hippster mit den obligatorischen, schwarz-gelben Shirts wippen gefällig ihre Köpfe und nuckeln am Bier. Während des Umbaus zerstreut sich die Meute, Raucherpause im Hof, Nieselregen, es wird Herbst, Partystimmung ist anders.
Als Norman Kolodziej und Kevin Hamann alias Bratze unauffällig erscheinen, verändert sich ad hoc die Dynamik im Raum. Bei den ersten Takten kommen die letzten Raucher herein gerannt, ihnen bleibt nur noch ein Platz in den hinteren Reihen, 50 Menschen an einem Montagabend füllen das Studio 108 im Bahnhof Langendreer plötzlich wie 500 in einer Freitagnacht.
Einerseits liegt das an dem aktuellen Bratze-Album „Highlight“. Deutlich elektronischer als die beiden ebenfalls bei der Hamburger Adresse Audiolith produzierten Vorgänger machen Stücke wie „Strafplanet“ oder „Zitate“ Stillstehen unmöglich. Selbst ruhigere Songs wie „Insel“ gönnen keine Atempause. Andererseits unterscheiden sich Bratze von ihren „großen Brüdern“: weniger offensiv politisch als Torsun von Egotronic und charmant ungeschliffener als die Routiniers von Frittenbude. Bratze kultivieren eigenwillige Nonchalance. Der Schlabberlook von Sänger Kevin Hamann, der sich in abgewetzten Queen-Shirt und Jogginghose zwischen den Songs die Fusseln aus dem Bauchnabel puhlt, wirkt nicht wie angestrengte Imagepflege oder gar Respektlosigkeit den Fans gegenüber. Derlei Details verraten sich, wenn er einen flüchtigen Blick auf die wild zu „Trapez“ oder „Ohne das ist es nur noch laut“ Tanzenden wirft und sich ein aufrichtiges Lächeln nicht verkneifen kann. Alles atmet eine praktische Funktionalität ohne Chi-Chi. Im Mittelpunkt steht die Musik, der sich der Stil unterordnet. Die Kunst, elektronische Musik unangestrengt zu produzieren und auch live zu performen, scheint allen Nordlichtern in die Wiege gelegt. Zu den intelligenten Texten gesellen sich punktgenaue, fette Beats und Rhythmen. Diese Kombination bewirkt ein Gefühl, als würde man dem Körper etwas Gutes tun, indem man kiloweise Schokolade futtert. Und die macht bekanntlich glücklich.
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