Applaus tröpfelt nach dieser Ohrfeige aus den Publikumsreihen. Farah weilt bei ihrem Freund Ahmad, nachdem sie über die Grenze nach Jordanien geflohen ist. Doch sie will wieder zurück zu ihrem Vater nach Damaskus. Das Paar streitet sich, beide machen sich gegenseitig Vorwürfe. Bis Ahmad zur Ohrfeige ausholt. Farah schlägt zurück. Einmal. Noch mal. Beifall folgt spontan aus dem Publikum für diese Szene aus der Revolution, die an diesem Premierenabend auch zu einer feministischen Revolte auf der Bühne gerät.
Denn den Alltag in Syrien – den einstigen Aufbruch, den blutigen Bürgerkrieg und die brutale Unterdrückung durch Staat und Milizen – schildert „Days in the Sun“ aus der Sicht der beiden Frauen Farah und Dunya. Beide lernen sich auf einer Demonstration vor dem Parlament kennen. Für Farah ist es die erste Demo, eine politische Erfahrung, die sie mit ihrem ersten Kuss vergleicht.
Freiheit und Selbstständigkeit sind die Motive, die beide Frauenfiguren gegen das Assad-Regime auf die Straße treiben und gegen die verknöcherten patriarchalischen Strukturen anrennen lässt. „Ich möchte spüren, das ich alleine leben kann“, erklärt Farah. Baian Aljeratly gibt diese naive und melancholische Rebellin, die in Dunya eine erfahrene Weggefährtin findet. Und die spielt Amal Omran mit Bravour als stoische Dissidentin, die Vorwürfe an die Opposition mit Verweisen auf die „Scheiß-Staatssicherheit“ Assads auskontert oder Fragen des Lebens und der Liebe mit wohlfeilen Sätzen kommentiert, dass sie zuweilen eher wie das Sprachrohr einer feministischen Kritik erscheint.
Die knapp zweistündige Inszenierung setzt auf die Dialoge des syrischen Autors Mudar Alhaggi, der in Mülheim auch Regie führte. „Days in the sun” ist klassisches arabischsprachiges Theater (mit deutschen Untertiteln), das die syrische Revolution von einer zeitlosen feministischen Perspektive neu aufrollt: Auf dem kargen Bühnenbild lauern die männlichen Figuren im Schatten oder schieben sich hinter rollbaren Gittern voran, die wie Spinnennetze aussehen und genau wie das andere Mobiliar aus Metall sind. Ja, diese syrische Revolutionswelt ist eine kalte und düstere Welt. Und sie wird von Männern beherrschst, die allesamt nur mit sozialen Masken auftreten. Da ist der Grenzbeamte (Kamel Najma), der beim Verhör nicht die autoritäre Ruppigkeit vermissen lässt, aber keine Frauen weinen sehen kann. Da ist Farahs Vater (Jamal Choukair), der in männlicher Selbstherrlichkeit Visionen spinnt, wie es denn gewesen wäre, einen Sohn aufzuziehen. Und da ist schließlich Farahs Freund Ahmad (Mouayad Roumieh), der in verliebter Zweisamkeit nicht ohne Macho-Allüren auskommt.
Selbstbestimmung in der Sexualität und Körperlichkeit setzt Alhaggi als zeitlosen Kampf in Szene, in der das Private ausweglos politisch ist. Das überwog bereits sein vorheriges Stück „Your Love is Fire“, in der ein Soldat für 24 Stunden Fronturlaub hat. Der Krieg überschattet in diesem Kammerspiel alle zwischenmenschlichen Verhältnisse und die Kunst findet keinen Ausweg, weswegen der Soldat schließlich vom fiktiven Autor desertiert, der keine Hoffnung stiften kann. Dieses metafiktive Spiel bleibt in „Days in the Sun“ aus. Doch die Kunst ringt hier dem politischen Kampf Hoffnung ab, wenn Farah am Ende berichtet, dass sie sich wieder ihrer Passion, der Bildhauerei gewidmet und eine Statue angefertigt hat. Von der Rebellin Dunya. Und wie aus Stein gebrochen wirken zuweilen auch die Figuren an diesem Theaterabend.
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