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Gleich werden die Gäule mal ein bisschen gesplattert
Foto: Sandra Schuck

Das Schweinesystem in den Köpfen

29. September 2016

Frank Weiß inszeniert „Michael Kohlhaas“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Auftritt 10/16

Trompete. Kommen Sie zur Ruhe. Wenn schon den alten Heinrich von Kleist, dann aber richtig. Denn das „Schweinesystem“ von damals ist irgendwie bis heute das Schweinesystem geblieben. Es fällt nur nicht so auf ohne öffentliche Hinrichtungen. Genauso inszeniert Frank Weiß diesen „Michael Kohlhaas“ im Bochumer Prinz Regent Theater auch. Denn tatsächlich scheint es längst schon wieder so weit, dass sich die Bürger (das Volk) entscheiden müssen – für oder gegen Gewalt. Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen das ewige System der Wohlhabenden, das sich heute großkotzig Demokratie nennt, aber vom Feudalstaat nicht so weit entfernt scheint. Der alte, arrivierte Rosshändler Kohlhaas bekommt damals „das System“ zu spüren. Grundlos endet sein harmloser Weg an Ausbeutung, Betrug und Diebstahl an einem neuen Schlagbaum mit neuen Steuern. Na wenn das nicht zeitlos ist. Die drei Schauspieler Linus Ebner, Dirk Hermann, Maximilian Strestik trampeln diese Ungerechtigkeit und seine spannenden Folgen denn auch lautstark auf die hölzerne Bühnen-Sackgasse, die auch wie ein Catwalk funktioniert. Und sie animieren das Publikum zur Teilhabe, füttern es mit Toastbrot-Oblaten, wecken die Eingenickten und stellen den störenden Handynutzer an den öffentlichen Pranger, an den eigentlich Kohlhaas mehr und mehr gerät, jedenfalls je mehr er sich damals wehrte. Das Recht der Reichen ist mächtig dehnbar, auch das ein zeitloses Faktum.

Es beginnt in schwarzen Skimasken mit Rocky-Horror-Smile-Mündern, die Pferde, um die es eigentlich geht, schweben da schon im Himmel, ihre papiernen Leiber werden dennoch gesplattert, heraus fällt Konfetti und Toastbrot (nein, das gibt’s später nicht zu essen!). Der olle Junker Wenzel von Tronka hat eben eine neue Einnahmequelle gebraucht, ergo wird das Volk (der Bürger) enteignet. Böse, aber Michael bleibt cool, das in diesem Fall angedachte Rechtsverfahren wird eingeleitet, doch auch das endet im Chaos, der Adel (der Besitzende) kennt eben immer einen, der einen kennt. Ergo Besitz futsch, Frau tot. Der ruhige Kohlhaas entscheidet sich jetzt für die Gewalt als einziges Mittel. Mit Che: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“ und Karl Marx: „Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffe nicht ersetzen“, und die drei Protagonisten rocken los, erst martialisch laut mit der Essener Metalband Kreator, dann auch lautstark mit Baseballschläger. Frank Weiß lässt seiner Choreografie freien Lauf, die drei poltern los, immerhin sind sie jetzt ein wachsender Heerhaufen, der durch die Lande plündert: Sic vos non vobis. Fuck off. Wenns schee macht. Der Kurfürst von Sachsen ist besorgt. Sah er den Satan bereits wie einen Blitz vom Himmel fallen? Noch hörte er auf Hinz und Kunz und etliche Berater, darunter auch ein gewisser Luther, Martin, der ihn erst beschimpft, dann (naja) unterstützt, irgendwie. Mancher Zuschauer kann jetzt kaum noch folgen: „Henriette, du hattest doch damals Kleist“, tönt es neben mir.

Frank Weiß
Foto: Sandra Schuck

Zur Person

Frank Weiß (*1972) entwickelte nach einem Drehbuch-Studium u.a. Serienkonzepte und wurde als Dramaturg tätig. In der neuen Spielzeit debütierte er mit „Bilder deiner großen Liebe“ auch als Regisseur am Prinz Regent Theater.


Der Streit, die Idee, die hinter der Ratio steckt, verkommt nun tatsächlich etwas im Klamauk, Kleist hatte ein bisschen Probleme zu seiner Zeit, die Geschichte so richtig „rund“ zu kriegen. Frank Weiß reagiert mit Chaos in der Dunkelheit der Herrschaft. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Rio Reiser wird zitiert, aber eben nicht hiermit. Die expressivem Ebner, Hermann und Strestik wechseln mit sichtbarem Genuss ihre Rollen, durch und mit Umhang und Mütze, alle sind Kohlhaas, das System, das Volk – das Volk, das wieder einmal nix versteht, aber eben alles fühlt (Mecklenburg-Vorpommern oder Tucholsky, ich weiß nicht mehr). Sie geben sich Barschels Ehrenwort und das alte Recht, sich selbst das Recht zu schaffen. Aber Landfriedensbruch bleibt irgendwie schwierig, und das nur wegen zwei abgemagerten Gäulen? Ich weiß nicht, Sachsen ist doch nicht die Krim. Der zugegeben leicht debile Kurfürst (historisch belegt?) weiß irgendwie auch nicht. Und dann soll Kohlhaas auch noch freigepresst werden. Salomonisch gibt’s jetzt schriftlich Schadensersatz und Todesurteil gleichzeitig. Die Regie setzt am Schluss aufs folternde Räderwerk und die genüssliche Knochenbrecher-Beschreibung desselben. Eine gewisse verbürgte Kleistsche Zigeuner-Prophezeiung taucht gar nicht mehr auf, obwohl doch so viele Zettel durch den Raum geflogen sind und das Publikum die ganze Zeit am revolutionären Laufsteg saß. Was möchte man dem Rosshändler zurufen, auf den nun die Doppelräderung auf dem Marktplatz wartet und der das auch noch rechtspolitisch goutiert? Ganz klar: Michael, der Kampf geht weiter.

„Michael Kohlhaas“ | R: Frank Weiß | Di 25.10., Mi 26.10. 19.30 Uhr | Prinz Regent Theater, Bochum | 0234 77 11 17

PETER ORTMANN

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