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Das Leben in vielen Teilen

30. Januar 2014

Douglas Gordon im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 02/14

Eigentlich hätte die Ausstellung von Douglas Gordon im Museum Folkwang parallel zu seiner letztjährigen Installation auf Zeche Zollverein stattfinden sollen. Zur Ruhrtriennale hatte Gordon dort in der Mischanlage die filmische Inszenierung „Silence, Exile, Deceit“ geschaffen, die mit ihren bedeutungsschweren Videos für Aufsehen sorgte. Die Inszenierung war als Gesamtkunstwerk angelegt, aufgeteilt in drei Stationen, die zwischen Fülle und Leere verschiedene synästhetische Erlebnisse erzeugten. Im einen Kapitel wechselten das Geräusch und die Musik in ein Lärmen über, bei dem der Boden vibrierte; im anderen war lediglich ein verschwiegenes Flüstern von oben zu hören. Gordons „Industrial Pantomime“ ließ den Betrachter überwältigt, fassungslos und angesichts des Überdeutlichen ratlos zurück. Dass es um nicht weniger als um Leben und Tod ging, konzentriert auf wenige plakative Szenen – das war nicht zu übersehen. Douglas Gordon war mitten in seinem Thema.

Douglas Gordon wurde 1966 in Glasgow geboren. Heute lebt er in Glasgow und in Berlin, seit 2010 hat er eine Professur für Film an der Städel-Akademie in Frankfurt am Main inne. Seitdem er 1996 den renommierten Turner Prize in London erhalten hat, zählt er zu den Global Players der Kunstszene. Hierzulande wurde er 2012 mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste in Berlin geehrt. Sein Ruhm begründet sich vor allem auf sein filmisches Werk. Am bekanntesten ist sein Film „24 Hour Psycho“ (1993), bei dem der Hitchcock-Klassiker – natürlich ohne Sound – auf 24 Stunden gedehnt ist. Die Spannung verschiebt sich, jede Geste besitzt ihre eigene Geschichte, man weiß nicht, was als nächstes passiert. Zu sehen sind seltsam eindrucksvolle Bilder. Mit einem einfachen (technisch aufwändigen) Trick entstand eine völlig neue Sache, aufregend und meditativ, entrückt und enorm präsent, und Alfred Hitchcock hätte seine helle Freude gehabt. Aber die Kunst von Gordon ist medienübergreifend angelegt, Fotoarbeiten und Installationen gibt es genauso. Immer geht es um existenzielle Polaritäten: Leben – Tod, Schuld – Unschuld, Identität – reines Sein. Seine Bilder findet Gordon in unserem kulturellen Gedächtnis. Auch deshalb berühren seine Ausstellungen so unmittelbar.

Und es tut gut, wenn der Ausstellungsraum eine grundsätzliche Nüchternheit vorgibt, wie jetzt das Museum Folkwang mit seinen White Cubes mit Durchgängen an den Seiten. An den vier Wänden eines Raumes zeigt Douglas Gordon in Petersburger Hängung 180 fotografische Bilder: in verschiedenen Formaten, aber gleich gerahmt, dazu in der gleichen Anzahl Spiegel. Der Betrachter spiegelt sich nicht nur, sondern sieht auch die Fotos und Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite, im Übrigen auch den Boden und die Decke. Diese Präzision und Klarheit aber trifft auf Unschärfen. Einzelne der Fotografien sind grob gerastert oder pixelig, noch dazu in abstrahierenden Ausschnitten gegeben, und mitunter wirken sie so, als befände sich eine Scheibe zwischen ihnen und dem Betrachter. Zu sehen sind Details aus verschiedenen primären Bereichen des Lebens, die auf die eigene Situation zu übertragen sind, dabei etwas Privates tragen. Nichts Lautes, aber Stille. Wesentliches, fern ab der Hektik unserer Zivilisation. Zu sehen sind Ausschnitte der Natur.

Zwischenmenschliche Äußerungen, etwa ein Paar, das sich küsst, ein Neugeborenes. Oder Teile vom Körper, ein golden übermalter Finger oder ein Totenschädel. Der Betrachter, der in der Reflexion seiner körperlichen Präsenz bewusst wird, wird zum Augenzeugen, nimmt an den intimen Seherlebnissen teil, ja, sie werden ihm anvertraut. Vielleicht entdeckt man auch den Künstler selbst auf einem Foto: So nah waren wir Douglas Gordon noch nie, und dabei geht es doch – diesmal ganz unspektakulär – gerade auch um uns selbst.

„Douglas Gordon, Everything Is Nothing without Its Reflection – A Photographic Pantomime“ | bis 2.März | Museum Folkwang in Essen | www.museum-folkwang.de

THOMAS HIRSCH

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