Das Schauspielhaus Bochum wird umgekrempelt. Mal wieder. Der alte romantische Gedanke kehrt zurück. Mal wieder. Alles wird neu und aufregend. Aufregend, das hoffen alle, aber neu sieht nur die Oberfläche aus: Wirklich neu ist da so gut wie nichts im aktuellen Gedankenspiel des neuen niederländischen Theater- und Opernregisseurs Johan Simons (71). Anders schon – nach fast zwei Jahrzehnten (Olaf Kröck als Interimsintendant sei ausdrücklich ausgeklammert) soll das Mittelmaß im Schauspielhaus wieder verlassen werden. Also ein fast neues Ensemble, dessen Qualität sich erst zeigen muss, mal wieder eine Umbenennung vom Zadekschen Theater Unten (das fünfte Mal, wenn ich mich nicht irre), das jetzt Oval Office heißen soll und wohl eher als Plattform für zeitgenössische Kunst dienen soll. Als erster bespielt es der junge chinesische Videorebell Tianzhuo Chen, dessen Arbeit gerade auf allen hippen Kunstplattformen gehyped wird. Das Schauspielhaus hat sich auch wieder die alte Reinhild-Hoffmann-Spielstätte Zeche 1 gekrallt. Nicht, dass sich dort so eine Art subversive Gegenkultur entwickeln sollte – das passt nicht zum großen romantischen Gedanken des Intendanten, der sich den Posten mit Miriam Lüttgemann vom Berliner Ensemble teilt. Simons denkt und arbeitet schließlich europaweit. Kein Problem, denn wie sagte er so schön bei der Spielplanvorstellung im Bochumer Kunstmuseum: „… man will ja hier kein Scheißregisseur sein“. Und so kreiert der Meister zur Eröffnung Lion Feuchtwangers „Die Jüdin von Toledo“, später fusioniert er Michel Houellebecqs Romane „Plattform / Unterwerfung“ und schickt einen weiblichen „Hamlet“ ins Grauen von Helsingør.
Trotz der vielen Veränderungen und Gästen von nah und fern wird das Gästehaus wohl leer stehen. Denn die Intendanz führt En-Suite-Inszenierungen für die Kammerspiele ein. „Das hat den Vorteil, dass die Künstler praktisch im Bühnenbild wohnen können und es nicht immer wieder abgebaut werden muss.“ Auch so kann man zusätzlich Platz im Depot sparen. Das Silberhaar-Publikum, das sich in Bochum nun an Laufbänder und Übersetzungshilfen gewöhnen muss (ich bin gespannt) kann sich dann aber in den Kammerspielen nach den schicken Abendbrot-Häppchen im Tanas (heißt das noch so?) mal eine Woche lang „New Joy“ das data-istische Cyber-Acapella-Musical für das 21. Jahrhundert von Eleanor Bauer und Chris Peck anschauen. Matschig soll das werden und das Publikum teilnehmen – übernachten im Bühnenbild ist anschließend aber nicht möglich!
Vielleicht unterschätzt man auch das Blendwerk der schönen Worte, die vielsprachig eine hochkulturelle Neue Heimat in Bochum erhalten. Hier soll schließlich „Kunst gemacht werden, für die man kein kunstgeschichtliches Studium braucht“. Dazu werden neue Spielorte kommen, mit denen Bochumer seit Peter Zadeks „Hamlet“ mit Ulrich Wildgruber (schnief) in der Hammer Fabrikhalle (1977!) keine Probleme haben werden. Unterstützt von der Brost-Stiftung (aus den Erlösen einer WAZ-Konzernhälfte) wird dies auch ein Frontalangriff auf die anderen Stadttheater im Ruhrgebiet: „Ich bin jetzt da“ (Johan Simons) und „das Schauspielhaus Bochum wird wieder der Leuchtturm im Ruhrgebiet“ – da kann Chefdramaturg Vasco Bönisch im Museum ruhig schnell auf mögliche Kooperationen bei den Ruhrbühnen (eine Idee der Ruhr-Tourismus GmbH) hinweisen. Aber zumindest gesellschaftspolitisch werden andere Theater im Revier auf Augenhöhe sein, auch ohne Unterstützung vom Verleger-Kapitalismus. Und jetzt freuen wir uns erst mal, „Murmel, Murmel“ von der Volksbühne wiederzusehen.
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