Kann man das überhaupt beurteilen? Sieht man den Kunstwerken aus dem zeitgenössischen China an, ob es sich hier um arrivierte und anerkannte oder avantgardistische und im Land selbst unbekannte Beiträge handelt? Zu groß und fern ist das Reich der Mitte, zu unübersichtlich und unterschiedlich sind die Informationen über die dortige Kunstszene, zu irritierend selbst für uns der dortige Kunstmarkt, und zu stark wird doch unser Halbwissen von wenigen Namen und deren medialer Präsenz geprägt. Vielleicht hilft da gerade auch eine Schau, die aus verschiedenen, aber verwandten Positionen (deren Akzeptanz durch die Vitazeilen im Katalog erläutert wird) bestimmte Haltungen und bildnerische Strategien destilliert.
Als Eröffnungsausstellung der Kunsthalle Recklinghausen nach ihrer Sanierung ist nun ein solcher Einblick in die chinesische Malerei der letzten zwei Jahrzehnte zu sehen. Er stammt aus der niederländischen Sammlung Fu Ruide und tourt im Moment durch Europa. Insgesamt geht es in den ausgestellten Malereien um allgemeine gesellschaftliche Erfahrungen; Politisches geht in diesen auf und tritt noch hinter den Verfahren der Malerei zurück. Diese ist kontrolliert, sorgsam, im Plakativen der Abbildung aus unserer Sicht wohl übertrieben und bei aller Kälte doch erstaunlich berührend. Das trifft besonders auf die Beiträge im Erdgeschoss zu, wo porträthafte Menschendarstellungen zwischen Individualität und gesellschaftlicher Einordnung zu sehen sind. Bei aller Verschiedenheit der Handschriften und der motivischen Umsetzung verbindet die ausgestellten Bilder eine offen vorgetragene Attraktivität und Perfektion, die bis in die Gesichtszüge reicht. Die Menschen werden zu Prototypen – oder empfindet das nur der westliche Blick so? Ein Hang zum Comicartigen liegt vor, aber natürlich darf auch nicht vergessen werden, dass der Sammler seinem besonderen Interesse nachgeht, das nicht unbedingt „typisch“ sein muss. Aber: Kommen die oft kleinen Bilder zunächst überzogen daher, so erweisen sie sich als nachdenklich und kritisch.
Während im Obergeschoss das Thema der Figur wieder aufgenommen und teils ins Monströse gesteigert ist, stellt das Zwischengeschoss eine ganz andere Seite der zeitgenössischen chinesischen Malerei vor: Hier sind ungegenständliche Malereien zu sehen, welche Farbe und Licht in Abstufungen und Einlagerungen vor Augen führen, wobei die Fortsetzung als Ornament und Raster durchaus gegenständlich, von der Beobachtung der Umwelt und deren ausschnitthafter Vergrößerung motiviert sein könnte. Mit der Ausrichtung auf die Figur und die Farbfeldmalerei aber bestätigt sich der Eindruck von der chinesischen Malerei, den wir von anderen Ausstellungen und Sammlungen hierzulande kennen. Dazu gehört das Künstliche, Übersteigerte ebenso wie die handwerkliche Versiertheit. Hervorragend ist in Recklinghausen freilich, dass jeder Künstler mit mehreren Arbeiten präsent ist und die Werke der Künstler ein vergleichendes Sehen zulassen. Eine anregende Ausstellung zu Zeiten der Ruhrfestspiele.
„Facing China“ | bis 24. Juni in der Kunsthalle Recklinghausen | www.kunst-re.de
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