Es ist des Pudels Kern in Shakespeares „Othello“ – und diese Innereien überschwemmen gerade Europa. So könnte man das Konzept hinter Roberto Ciullis Inszenierung vom „Mohr von Venedig“ hinterfragen: eine alte Idee zieht um die Welt, ihre öffentliche Fratze nennt sich Populismus und sie arbeitet wirksam im Stillen bis es zu spät ist. Das Prinzip macht sich der dämonische Narr Jago zunutze. Im Theater an der Ruhr ist Othello, der Feldherr, jetzt Othello, der schwarze Boxchampion (Jubril Sulaimon). Eine rote Couch wird zum Schlachtfeld, während im Hintergrund der Boxsack leise pendelt. Das gekränkte Weißbrot Jago geht zum Angriff über, seine Waffen sind alternative Wahrheiten und der boshafte Zufall in einem alternativen Universum für die gehobene Gesellschaft.
Damals wie heute haben schwarze Menschen in der Gesellschaft unter Vorurteilen zu leiden. Daran hat sich seit 1622 nichts geändert, obwohl alle auf der Welt immer das Gegenteil behaupten. In jüngster Zeit steigt in den USA wieder die Eskalation, Ordnungshüter, Richter und Geschworene bilden da eine gefährliche Triade. Roberto Ciulli und sein Dramaturg Helmut Schäfer lassen das Ungeheuer Eifersucht leise und final in den Kopf des Boxers schleichen. Die geflüsterten Vermutungen, das Hörensagen von Dritten und die offensichtlichen Lügen von Jago (Steffen Reuber) bohren sich wie ein Nagel in die tatsächliche Lebenswelt Othellos. Kann ein intrigantes Arschloch so zum Erfolg kommen? Eigentlich nicht, und das zeigt die Inszenierung exemplarisch auch. So viele Unglaubwürdigkeiten und kein klärendes Gespräch, alle werden irgendwie zu Helfershelfern am Tod Desdemonas (Dagmar Geppert), die dauerhaft an Othello glaubt und das Unheil nicht verhindern kann. Das könnte Emilia (Petra von der Beek) schon, doch sie zuckt nur gelangweilt mit den Schultern, als sie ihrem Ehemann das keineswegs verräterische Taschentuch übergibt. Das könnte auch Desdemona, wenn sie das veränderte Verhalten ihres Ehemannes vernünftig hinterfragen würde. Aber in dieser Neureichen-Mischpoke sind ja alle immer ungeheuer busy. Ciulli lässt in seiner designten mafiösen Boxermilieu-Inszenierung niemanden aus der Verantwortung.
Das eigentliche Desaster bleibt Othello selbst. Anfangs noch amüsiert steigert er sich immer weiter ins Unglück, in höchster Wut tobt er in seiner nigerianischen Heimatsprache. Das hat natürlich Gründe: Die gute Seele, der reine Geist ist zu naiv im Glauben Freunde zu haben und in einer freundlichen Welt zu leben. Eigentlich treibt er sich selbst zum Mord, fängt an die Liebe zu hinterfragen, das „Warum ich?“, wo es doch so viele andere gäbe. Der Außenseiter durch Hautfarbe bemerkt die größer werdende Masse an Neidern nicht. Im Traum verliert er die untreue Gattin und den Weltmeistergürtel an den dauergelangweilten Cassio. Am Ende wird er sie mit einem hereinwehenden Seidenvorhang ersticken, um dann die Wahrheit von Emilia zu erfahren. Die wird dann wegen ihres Verrats auch noch gemeuchelt und so hängen die Frauen still und tot über dem roten Sofa, wie es sich im Geschlechterkampf gehört. Viel ist bei einer solchen Fokussierung vom Shakespeare natürlich auf der Strecke geblieben, über ein Dutzend Rollen und etwas vom dramatischen Flair in der Sprache. Hier kann man das locker verschmerzen.
„Othello“ | R: Roberto Ciulli | 9.11., 17.11., 23.11. 19.30 Uhr | Theater an der Ruhr | 0208 599 01 88
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