Die Kunst von Abraham David Christian schwimmt gegen den Strom. Als Person entzieht sich Christian ganz. Von Sammlern und Museumsleuten hochgeschätzt, stellt er nur selten aus. Sowieso arbeitet er mitunter Jahre an seinen Skulpturen, auch wenn diese handliche Formate besitzen und einem elementaren Vokabular folgen. Sie wirken seltsam selbstverständlich und orientieren sich doch eher an rituellen Gegenständen ferner Kulturen als an westlichen Erwartungen. Oft weisen sie Bezüge zur Architektur auf, etwa zu Pagoden, Schreinen und Gefäßen. Sie zeigen Spiralen, die sich scheinbar endlos um sich winden, gestufte Kreisel, vertikal gestaffelte Kugelformen oder ellipsoide Flächen. Abraham David Christian bemalt die Skulpturen aus geklebten Papierstücken, aus Gips, Bronze oder Eisen oft mit weißer Farbe, wobei der Farbauftrag in zig Schichten vom Dunklen ins Helle erfolgt. Und die vermeintliche Einfachheit der Formen weicht in der Formung von Hand von jeder Regelmäßigkeit ab. Abraham David Christian konfrontiert Perfektion und Zeitlosigkeit mit Fragilität und Archaischem. Schließlich wird deutlich, wie einzigartig diese Werke sind und dass sie eine hohe Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit in sich tragen. Abraham David Christian weist selbst auf ihren spirituellen Anspruch. Ausgehend von der eigenen Identität thematisiert er mit universell lesbaren Zeichen den Menschen in seiner Körperlichkeit und seinem Denken. Der Ortswechsel als bewusste Erfahrung ist ein zentraler Aspekt, den er in Folgen intensiver Strichzeichnungen von Fußmärschen in fernen Ländern vertieft hat: Christian spricht von „Wegen der Welt“, auch bei einer seiner Skulpturengruppen.
Erworben mit Fördermitteln, befindet sich eine „typische“ Skulptur von 2019 in der Villa Marckhoff im Kunstmuseum Bochum. Sie dient nun als Referenz für die Ausstellung, die sich Christians frühem Werk widmet. Ein weiterer Bezugspunkt ist die mehrteilige Skulptur „Selbst“ (1978), die 1985 vom Kunstmuseum erworben wurde – da war Christian bereits etabliert und schon auf dem Rückzug aus der Öffentlichkeit. Bekannt wurde er mit 19 Jahren auf der documenta 1972: Spektakulär war der Schau-Boxkampf mit Joseph Beuys, in dem die befreundeten Künstler einen demokratischen Kunstbegriff thematisierten. Unspektakulär, weil im Verborgenen, war zuvor sein 30-tägiger Rückzug in die Einsamkeit der Natur auf einer Insel in der Fulda. Hier schuf er, zusammengehalten von Speichel, Skulpturen aus Erde. Stabilität und Vergänglichkeit trafen zusammen, massive Blöcke ruhten aufeinander, als Selbstbehauptung des handelnden Menschen.
Für die Zukunft seines Werkes hat sich Abraham David Christian vieles von diesen frühen Erfahrungen bewahrt, das betrifft die primäre Formensprache, die Reduktion und das Bescheidene und zugleich Feine, das Interesse für die Oberfläche. Es gilt aber auch für das eigene Verschwinden, den Wechsel der Orte und Ateliers, die sich seit langem in Düsseldorf, New York und in Hayama/Japan befinden. Erfreulich, dass Christians Werk nun in Bochum zu sehen ist. Sensationell, dass es sich um frühe Arbeiten handelt, die vom Künstler selbst arrangiert sind.
Abraham David Christian – ERDE | 5.7. - 4.10. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
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