Die Atmosphäre im Innenhof der Zukunftsakademie NRW (ZAK) in Bochum erinnert an einen entspannten Grillabend mit FreundInnen. Nichts deutet daraufhin, dass gleich eine hitzige Diskussion um unterschiedliche Positionen zum Begriff „Diversität“ folgen könnte.
Was dann auch nicht passiert, denn: Der Titel der Reihe „Ausreden über Ausreden. Positionen des Theaters in einer vielfältigen Gesellschaft“, organisiert von der ZAK und dem Team des Favoriten 2016 Festivals, ist Programm: Es ist nicht nur die Ausrede im Sinne einer Ausflucht gemeint, sondern der Titel ist auch gedacht als Ansage für alle Teilnehmenden sich gegenseitig ausreden zu lassen, um andere Positionen wahrnehmen zu können.
Mit der Reihe wollen die VeranstalterInnen der „Tatsache Rechnung tragen, dass sich mit unserer Gesellschaft immer auch die Kunst verändert.“ Einer Gesellschaft, die spannenderweise immer diversitärer, aber andererseits auch immer homogener zu werden scheint. Diskussionen über Begrifflichkeiten bedürfen immer einer Klärung: Worüber wollen wir heute Abend genau sprechen? Wer versteht was unter dem Begriff? Wer argumentiert von wo aus, setzt welche Akzente und grenzt sich somit wieder von etwas ab.
„Diversität“ macht es uns leicht und schwer zu gleich: Sie bietet unzählige Standpunkte und Herangehensweisen, ist von Natur aus eher schwammig als scharf. Dies soll heute Abend produktiv gemacht werden und wird von den moderierenden Timo Köster und Julia Wissert auch so eingeführt. Die beiden halten sich während des Gesprächs angenehm zurück. Sie nutzen die Zeit nicht, um eigene Positionen durchzudrücken, sondern sind ehrlich an den Anwesenden interessiert, wodurch die Offenheit der Veranstaltung deutlich wird.
Mit ihnen besetzen fünf weitere Menschen das Podium, die aus akademischen und/ oder künstlerischen Kontexten kommen und gebeten werden, ihre Erfahrungen und Haltungen rund um ihre Diversitätskonzepte zu schildern.Prof. Dr. Melanie Hinz, Performerin bei der Gruppe „Fräulein Wunder AG“ und Professorin an der FH Dortmund, beginnt und setzt direkt einen Punkt, den alle gemeinsam haben: Es gibt kein in Stein gemeißeltes Konzept. Es gibt Fragen, Suchbewegungen, ein sich Ab- und Herantasten an Haltungen – die in Hinzes Fall unbedingt immer politisch motiviert sein müssen. Wie kann ich mit mir und meinem Körper einstehen für politische Fragen? Wer darf für wen sprechen? Und wo macht KomplizInnenschaft Sinn?
Der Regisseur Bassam Ghazi sorgt ganz konkret für noch mehr Diversität im Raum, indem er Stimmen aus seinem Kölner „Import Export“ Theater mitgebracht hat und diese auch zu Wort kommen lässt. So erzählt der 21-jährige Erdem aus dem Publikum heraus von seinen Diskriminierungserfahrungen und davon, wie er auf sein anders sein, seine diversitäre Seite reduziert wird.
Dabei wird deutlich: Diversität hängt mit der Ausgangsposition zusammen. Was hier die Norm ist, kann dort diversitär sein. Als nächstes beschreibt Miriam Michel, Mitglied des freien mix-abled Performance Kollektivs „dorisdean“, ihre Arbeit als „Achtsamkeits- Avantgarde“ und formuliert eine Wunschvision des Theaters in der mit allen achtsam umgegangen wird. Konkret heißt das: Rampen, Gebärdenübersetzungen, Untertitel – Ein Theater, dass nicht mehr ausschließt, angefangen bei den Schauspielschulen bis hin zur Ensemblebildung.
Für ein Theater im klassischen Sinn mit getrenntem Bühnen- und Zuschauerraum hat sich auch die freie Kunstschaffende Angie Hiesl als Aufführungsort für ihre Kunst nie interessiert, genauso wenig wie für das „so tun als ob“ im Theater. Es geht für sie nicht darum anders zu sein, in dem etwas anderes gespielt wird, sondern mit der eigenen Persönlichkeit das „anders sein zu sein“. Die Theaterwissenschaftlerin Joy Kristin Kalu begegnet dem Diversitätsbegriff aus der akademischen Perspektive. Ihre Frage lautet immer: Was erzählt uns das als diversitär Wahrgenomme über die vorherrschende Norm der Mehrheitsgesellschaft?
Das Podium ist diversitär aufgestellt und die Positionen wichtig und interessant. Doch sind sich die Teilnehmenden schließlich doch ein wenig zu einig. Es fehlt eine Reibungsfläche und die Position, die immer wieder im Laufe des Gesprächs scharf kritisiert wird, nämlich die des Stadt- und Staatstheaters. Mehrfach wird der Wunsch geäußert, dort herrschende Strukturen endlich aufzubrechen, überholte Prozesse zu modernisieren. Um ein Bewusstsein in den Köpfen der Institution zu schaffen, wäre ein solches Podium die ideale Gelegenheit gewesen. Und vielleicht auch eine Chance die erste Wortbedeutung der „Ausrede“ produktiv machen zu können.
Nächster Termin: „Ausreden auf der Bühne“ (Gesprächsreihe im Rahmen des Favoriten-Festival 2016) | 19.6. 15 Uhr | FFT Düsseldorf |
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