Es ist schon eine Weile her, dass das Werk des weltweit gefeierten Bildhauers Tony Cragg umfassend in der Region ausgestelltwurde. 2016 gab es die Retrospektive im Von der Heydt-Museum in Wuppertal, wo sich im Stadtteil Barmen auch sein Skulpturenpark befindet. 2007 hatte Cragg im Duisburger Lehmbruck Museum und 2011 im Museum Küppersmühle Einzelausstellungen. Und jetzt ist in der Glashalle des Lehmbruck Museums eine Präsentation zu sehen, die zwar nichts Neues vorstellt, aber den Sammlungsbestand dieses Museums bündelt: Ausgestellt sind vier Skulpturen der Jahre 2008 bis 2010, allesamt Dauerleihgaben aus Privatbesitz. Sie umfassen ein weites Spektrum künstlerischer Prinzipien des 1949 in Liverpool geborenen, seit 1977 in Wuppertal lebenden Cragg, der lange als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf gelehrt hat. Die vier Skulpturen aus Bronze bzw. Stahl verdeutlichen seine Verfahren des Schichtens, Zusammenhaltens und Entfaltens von Formen, die er repetiert, verschiebt, verschleift oder umstülpt.
Tony Cragg ist ein „richtiger“ Bildhauer, der sich mit dem Material und dessen Potenzial auseinandersetzt, den Materialton befragt, Labilität und Stabilität, die Auflagefläche und die Allansichtigkeit bedenkt. Ein Ausgangspunkt seiner Formensprache ist die Natur mit der symmetrischen Bauweise der Lebewesen, wie er sie in Versteinerungen vorfindet. Tony Cragg analysiert aber auch, wie die Dinge, mit denen wir uns in der Zivilisation einrichten, beschaffen sind – und findet für alles eine aufregende, unserem tagtäglichen Wahrnehmen verwandte Metaphorik. In der Glashalle erinnert „Outspan“ an eine Muschel und ein Schneckenhaus, doch scheint es mitten in der Entfaltung festgehalten – wie bei einem Pfau, der sein Rad schlägt. Oder handelt es sich, auf dem Boden stehend, um einen Trichter für das Hören und Empfangen von Signalen? Die gelbe Farbe verleiht der Skulptur Eleganz und Leichtigkeit. Unterdessen wächst „Mix Feelings“ auf einem Sockel steil in die Höhe. Von innen gehalten umfangen sich gleitend wirkende Rundscheiben und sorgen dafür, dass die Skulptur wie in der Drehung erfasst ist. Natürlich erinnert sie an den Torso einer menschlichen Figur. Aber der erdige Ton des Stahlgusses weist auf die Natur und deren Wachstum. Die beiden schwarzen Bronzeplastiken dagegen konkretisieren die rhythmischen Verschiebungen hin zur Anamorphose. Aus bestimmten Perspektiven scheinen sich im Vor und Zurück der glänzenden, fließenden Formverläufe Kopf- und Gesichtsumrisse einzustellen. Indes beschreibt „The Runner“ die Bewegungsspur rasanter Geschwindigkeit.
Die Glashalle befindet sich, getrennt durch den Eingangsbereich, gegenüber vom Lehmbruck-Trakt. Dort wird das Werk des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck vorgestellt, der mehrals hundert Jahre zuvor die menschliche Figur als Skulptur mit Längungen und Streckungen revolutionär weitergedachthat: eine Tradition, die Cragg für die Skulptur der Gegenwart fortsetzt. Und wem das noch nicht reicht: Im Skulpturenhof steht mit „Cast Glances“ (2002) eine weitere Skulptur von Tony Cragg. Das vergleichende Sehen, hin und her Laufen und Nachdenken geht hier weiter.
Tony Cragg | bis 18.4. | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Konzentrate heutiger Zeit
Rineke Dijkstra im Lehmbruck Museum Duisburg
Großes Kino
Ausgezeichnet: Cardiff & Miller im Lehmbruck Museum Duisburg
– kunst & gut 05/22
Teil des Museums
Die Erwerbungen des Freundeskreises für das Lehmbruck Museum
Das Prinzip der Form-Schöpfung
„Lehmbruck – Beuys“ in Duisburg – Kunstwandel 08/21
Sachlich, Realistisch, Magisch
DU: Lehmbruck Museum | Di-Fr 12-17, Sa-So 11-17 Uhr
Alte britische Schule
Lynn Chadwick im Lehmbruck Museum – kunst & gut 08/20
Alles schwebt
Eija-Liisa Ahtila in Duisburg – Kunst 10/19
Statement für den Frieden
Aljoscha in der Alten Villa in Gelsenkirchen
– kunst & gut 07/22
Es zählt nur die Botschaft
We want you! im Museum Folkwang – Kunstwandel 07/22
Wenn der Fliegenpilz spricht
„Die Kraft des Staunens“ im Museum unter Tage – Kunstwandel 07/22
„Zugespitzt auf das eigene Haus und seine Geschichte“
Tobias Burg und Rebecca Herlemann über die Ausstellung „Expressionisten am Folkwang“ – Sammlung 07/22
Der Charme des Unbeständigen
„Blade Memory II“ im Dortmunder Kunstverein – Ruhrkunst 07/22
Erfahrbare Kunst
Mit dem Rad auf dem Emscherkunstweg – Kunst 06/22
„Er ist ganz nah am Haptischen“
Alexander Grönert über die Erwin Heerich-Ausstellung auf Schloss Moyland – Sammlung 06/22
Durch die Blume
„Flowers!“ in der Kunst ab 1900 im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/22
Wenn das Bunte unheimlich wird
Flo’s Retrospektive in Recklinghausen – Kunstwandel 06/22
Der Pott anne Decke
Filmvorführung „Future Ruhr“ im Planetarium Bochum – Kunst 06/22
Das Rauschen der Farbe
Raimund Girke im Museum Küppersmühle Duisburg
– kunst & gut 06/22
Camping-Kanalrohre
Das Parkhotel „inside-outsite“ am Hof Emscher-Auen – Kunst 06/22
Nackte Mannsbilder
„Eros in Erwartung der Ewigkeit“in Duisburg – Ruhrkunst 05/22
Keine Angst vor dem Mähroboter
„House of Mirrors“ im HMKV im Dortmunder U – Kunstwandel 05/22
Wenn der Zucker macht, was er will
Markus Heinzelmann über„Die Kraft des Staunens / The Power of Wonder“ – Sammlung 05/22
„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“
Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22
Auf Fuchs’ Fährte
Fabian Reimann im Kunstverein Ruhr – Ruhrkunst 04/22