Irgendwo in den Innereien der Essener Kokerei Zollverein flimmern Bildschirme vor riesigen Trichtern aus Beton. Zu sehen sind Schrift, Szenen, bunt, schwarzweiß. Da. „Guitar music is out“. Nichts ergibt Sinn. Vorerst. Tony Cokes, der diese Mehrkanal-Installationen für den diesjährigen Beitrag von Urbane Künste Ruhr zur Ruhrtriennale aufgebaut hat, zeigt eine mögliche Vision zur Evolution von Musik aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen, und er zeigt, wie Popmusik durch politisches Handeln missbraucht und verändert wird. „Disco isn’t dead. It has gone to war.“ Hinter dieser bunten Textzeile stecken Abgründe, tun sich Folterbilder auf aus Abu Ghraib, genau wie aus Internet-Werbebotschaften des IS. Mir geistert plötzlich Anne Clarks „Our Darkness“ durch den Kopf. Sind das hier auch Urban Nightmares?
Dann gibt es den interaktiven Kopfhörer auf die Ohren und man wandert durch den verwirrenden Kosmos des US-amerikanischen Künstlers aus Richmond, Virginia. Dabei sind die Zeichen, Musik und Assoziationen eigentlich leicht zu entziffern. Elf Videos auf fünf Bildschirmen und einer Videowand geben dabei einen fantastischen Einblick in eine Arbeit, die sich seit den frühen 1980ern immer mit der Wechselwirkung von Musik und Gesellschaft beschäftigt hat, die theoretische Schnipsel von Derrida, aber auch Textzeilen aus der Hip-Hop-Kultur miteinander vermengt, oder zeitgenössisch korrekt sampelt. Auch optisch sind die Screens an einem optimalen Ort in der ehemaligen Mischanlage der Kokerei. Hier die mächtigen Trichter, Hörnern gleich, dort die geschwungene Treppe ins Nichts. Immer wieder entstehen im Raum neue Assoziationen, ganz aktuell auch Geflechte, die das Ruhrgebiet und die einst getane körperliche Arbeit am vorgefundenen Ort reflektieren, aber auch die Mutationen von Jugendkultur auf der Zeitachse des Reviers.
Die Installation „Mixing Plant“ ist das primäre Highlight des Spätsommers. Lässt der Besucher sich drauf ein, kreiert er seinen eigenen Teppich aus Sätzen und Sound „and things are continually shifting“. Und nimmt ohne Kopfhörer so ein kosmisches Hintergrundrauschen aus allen Ecken wahr. Das ist ein Soundteppich von Richard Ortmann aus seinem Archiv für verschwindende Geräusche. Don´t be alarmed.
Tony Cokes: Mixing Plant | bis 29.9. | Mischanlage, Kokerei Zollverein, Essen | 0234 97 48 33 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Alptraum ohne Ausweg
Ruhrtriennale: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ in Bochum – Oper 09/23
Gitarrengewitter im Landschaftspark
Anna Calvi bei der Ruhrtriennale – Musik 08/23
Dem Horror entfliehen
„The Visitors“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 09/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Kontrollverlust und Lüste
Zwei „hemmungslose“ Schauspiele bei der Ruhrtriennale – Prolog 08/23
Von guten und bösen Geistern
Ruhrtriennale 2023 an div. Orten im Ruhrgebiet – Prolog 06/23
Tanzbein und Tiger
Julian Rosefeldts „Euphoria“ bei der Ruhrtriennale – Festival 09/22
Indigener Widerstand
„Encantado“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/22
„Die müssen unser Zusammenleben noch 70 Jahre lang ertragen“
Anne Britting über die Junge Triennale – Premiere 07/22
Tanz auf dem Todesstreifen
Ruhrtriennale: „Danza y Frontera“ auf Pact Zollverein in Essen – Bühne 09/21
Der Kampf gegen die Geister der Vergangenheit
Kollektive und individuelle Erinnerungsprozesse bei der Ruhrtriennale – Prolog 08/21
Kunst von und für Kids
Das Projekt Safe Space in Duisburg – Spezial 09/20
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
Spuren und Ahnungen
Stefan Müller und Viola Relle im Dialog in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Keine Illusionen
Wolf D. Harhammer im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 03/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24