Eine Monstershow des Nichts, nichts für Besucher, die ihre Brille vergessen haben, ein Nichts voller Wunder. Das alles ist die Ausstellung „scheinbar : nichts“ im Museum unter Tage von Situation Kunst in Bochum. Der chinesische Maler Qiu Shihua (*1940 in Sichuan) hat die Tradition der Landschaftsmalerei seines Landes extrem weiterentwickelt. Er zählt längst zu den herausragenden chinesischen Künstlern der Gegenwart. Über drei Jahrzehnte malt er schon scheinbar weiße Flächen, deren monochromes Eigenleben fast mühsam erschlossen werden will. Für ihn sind diese Bilder, die logischerweise nie Titel tragen, Tore in eine endlos offene Welt. Die Tür dahin öffne sich allerdings nur für alle, die nicht darüber nachdenken würden, ob es überhaupt eine Tür gebe.
Je länger Qiu Shihua daran arbeitet, desto durchsichtiger werden die Landschaften, man ahnt mehr eine Baumreihe, als dass man sie sieht, oder ist es doch ein Strand am chinesischen Meer, den der Nebel vollständig verhüllt? Auch die Leinwand-Formate sind im Laufe der Zeit wohl natürlich gewachsen, sehr großformatig hängen sie im letzten Raum, zentral ein Triptychon aus kalkweißem Nichts, das die eigentliche Welt abbildet. Die ist nämlich in ihrem Wesen fast substanzlos, schemenhaft, und wer sein Auge zwingt und die Seele befreit, der bekommt die eigentliche Bedeutung dieser grandiosen Bilderwelt auch zu spüren.
In Bochum setzt man diese äußerst subtile Malerei nicht nur in den Kontext traditioneller chinesischer Landschaftsmalerei (Zhang Zongcang: Bergwelten, Tusche auf Papier, 1748) bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts (Yi Dahan, Tusche auf goldgesprenkeltem Papier, 1930er Jahre), auch Arbeiten der frühen europäischen Avantgarde bis zur internationalen Kunst des 21. Jahrhunderts können im Museum unter der Erde betrachtet werden. Einige, wie Degas‘ Ölskizze (Italienische Landschaft, Öl auf Papier, 1857/1858) oder auch Paul Cezannes Landschaftsaquarelle um 1895 scheinen auch den monochromen Geist der Natur zu atmen, haben aber die spektakuläre Mystik von Qiu Shihua nicht erreicht, und das schaffen auch nicht sehr ähnliche Arbeiten wie Graubners Synthetikwatte-Kissen „Lichthauch“ von 2009 oder Catalina Pabóns „desert shadow“ (Pastell auf Leinwand, 2008).
„scheinbar : nichts“ | bis 22.4. | Museum unter Tage (Situation Kunst), Bochum | 0234 322 85 23
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