Die Gefahr, dass Aenne Biermann wieder aus dem Gedächtnis der Fotogeschichte vergessen werden könnte, besteht gottlob nicht. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die zu Lebzeiten so gefragte Fotografin wieder aus der Versenkung hervorgeholt wurde. In der näheren Region war zuletzt eine konzentrierte Auswahl ihrer Bilder im Museum Ludwig in Köln zu sehen; nun bilden die Stiftung von Ann und Jürgen Wilde in der Münchner Pinakothek der Moderne und der Sammlungsbestand des Museum Folkwang den Anlass, das Werk ausgiebig vorzustellen. Beschränkte sich die Auswahl in Köln auf die Fotografien von Kindern, Strandszenen, Stillleben und einzelne Pflanzen, so kommen in Essen, begleitet von Dokumenten, die Kinderporträts, die Wissenschaftsfotografien und die urbanen Szenerien hinzu. Ausgestellt ist auch das berühmte Bild „Blick aus meinem Atelierfenster“, das die gegenüberliegende Hausfassade mit dem Raster des Fensters strukturiert. Mit diesem Bild, das 1929 mit einem Preis ausgezeichnet wurde, schließt Biermann an den konstruktiven Stil des Bauhauses an – und spätestens jetzt blickt man anders auf ihre Anordnungen im Bild, seien es ein Kristall, der sich durch das Bildformat schiebt, oder ein Messer inmitten einer aufgeschnittenen Kokosnuss. Die Ausschnitte sind eng, man spürt förmlich noch das Suchen der Fotografin, die intensive Annäherung an das, was da im Gegenüber ist und zu vibrieren scheint.
Aenne Biermann hat gar nicht am Bauhaus studiert. Geboren 1898 in Goch, war sie Autodidaktin mit der Fotokamera. Sie eignete sich das Fotografieren ab 1920 an, um das Aufwachsen ihrer beiden Kinder festzuhalten. Ab 1926 entstehen die Pflanzenaufnahmen, mit denen sie zu ersten Ausstellungen eingeladen wird, und bis zu ihrem Tod 1933 ist sie ein Shooting Star der deutschen Fotoszene. Dabei besitzen ihre Bilder eine große Schlichtheit. Ihre Aufnahmen bleiben aufmerksam, hingebungsvoll. Biermann zeige einen „unvertrauten Blick auf die vertrauten Dinge“, sagte der Direktor des Folkwang Museums, Peter Gorschlüter, bei der Ausstellungseröffnung, und die Kuratorin Simone Förster betonte, wie sehr sich die Bilder den Details zuwenden. Jede Aufnahme wird zu einem kleinen Wunder. Sehenswert!
Aenne Biermann – Vertrautheit mit den Dingen | bis 1.6., zu Redaktionsschluss geschlossen | Museum Folkwang in Essen | 0201 884 54 44
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