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Grenzerfahrungen nach Unfall und OP halfen Lisa, ihr Leben besser zu begreifen
Foto: Archiv

"Mein Dom, er hat mir das Leben gerettet!"

01. Dezember 2009

Eine Reportage: Über Lisa und ihren Anfang im Ende, Dominanz und Submissivität, Kopf unter und Kopf über Wasser - Ungeschminkt 12/09

Die Rettungskräfte ziehen Lisa blutend aus ihrem Wagen. Noch am Unfallort wird sie wiederbelebt. Bis heute hat sie keine Erinnerung, warum sie gegen den Baum gefahren war. Damals, vor dreieinhalb Jahren. "Ich bin den Ärzten wirklich dankbar", sagt Lisa, "aber letztlich hat mir mein Dom das Leben gerettet." Wir schlendern weiter durch den herbstlichen Wald, die Reflektionen der Sonnenstrahlen erzeugen bizarre Farbenspiele auf den Blättern, die unseren Weg säumen. „Dom", so heißt der dominante Part in dem sexuellen Spiel, was landläufig SM genannt, von dessen Spielern jedoch lieber als BDSM bezeichnet wird. Ein Sammelbegriff für abseitige sexuelle Praktiken, wie Lisa augenzwinkernd anmerkt. Zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben von Bondage und Disziplin, Dominanz und Submission, Sadismus und Masochismus. Noch lässt der Auftritt des Doms in diesem Stück auf sich warten, er folgt in einem späteren Akt. Nach fünf Tagen Koma wacht Lu im Krankenhaus auf. Sie ist lebensgefährlich verletzt, ihre Lunge droht zu versagen, ihr Hirn blutet. Es folgen zwei Monate Rehaklinik. Die Germanistin und Theaterfrau kann anfangs kaum sprechen. "Ich habe überlebt, ja. Aber auf keinen Fall gelebt zu dieser Zeit. Wir wagen uns tiefer in den Wald. Die Bäume werden dichter, sie werfen lange Schatten. "Nach einem solchen Unfall kannst du nur innerhalb äußerer Zwänge funktionieren. Ärzte, Appa- rate und Medikamente, sie haben Regie in meinem Leben geführt. Lu kämpft sich durch bittere Monate, bis sie "den Kopf wieder über Wasser hatte."

EIN FREIWILLIGES ROLLENSPIEL: UM MACHT UND OHNMACHT

In dieser Zeit betritt ihr späterer Dom die Bühne. Lisa lernt ihn in einem einschlägigen Internetforum kennen. "Wir haben uns sofort radikal verliebt!". Sie werden ein Liebespaar. Es hat zu regnen begonnen, der dunkelgrüne Moosboden ist rutschig, gefährlich glatt. Unsere Schuhe lassen uns im Stich, die Füße sind nass. Lisa weiß auch vor dem Unfall, dass sie sexuell devot ist, submissiv, unterwürfig. "Ich brauche ein freiwilliges Rollenspiel, in dem es um Verlangen und Hingabe geht, um Macht und Ohnmacht; in dem von mir sonst abgelehnte Geschlechterstereotypen überinszeniert werden, um sie dramatisch an die Oberfläche zu holen." Es geht aufwärts für Lisa damals, körperlich und emotional, auch, weil sie sich von ihrem Dom geliebt und begehrt fühlt. Dann, etwa ein Jahr nach dem Unfall, wird Gebärmutterkrebs bei ihr diagnostiziert. Wir klettern auf einen Hochsitz. die Stufen aus Holz geben knarrend nach, während wir sie vorsichtig besteigen. Ich möchte verstehen, warum das Spiel mit Kontrolle und ihrer freiwilligen Abgabe überlebenswichtig für sie war. "Mit ihm, meinem Dom, konnte ich die Fremdbestimmung nach Unfall und Krankenhaus selbst bestimmt nachspielen“, Lisa bläst den Rauch ihrer Zigarette genüsslich aus, "ganz simpel eigentlich. Lisa ist eine starke Frau, beruflich und persönlich, Mitte dreißig, die Entscheidungen trifft; die Regie übernimmt, wie sie es wohl ausdrücken würde. Worin liegt der Reiz ihrer devoten Rolle, ihrer Inszenierung von Sexualität? Wie fühlt sich ihre Belohnung an? "Ich begehre das Begehren meines Gegenübers. Wenn ich merke, dass seine Lust überhand nimmt, nicht mehr routiniert ist, nicht mehr beherrschbar, dann macht es ... Peng! bei mir. Im Kopf? "Ja." Und im Körper? "Oh, ja!" Doch in ihrer zugespitzten Zeit damals erfährt Lisa BDSM noch anders. "Ich habe meine Freiheit wiedergefunden, weil ich Unfreiheit gespielt habe, weil ich meine Macht im Spiel der Ohnmacht zurückerobert habe."

PLÖTZLICH LEUCHTET EIN FIXSTERN, NACHDEM SIE IHREN KOSMOS VERLOREN HATTE

Lisa ist verlegen, natürlich, als ich sie bitte, Details preiszugeben. Wir einigen uns auf eine sexu- ell unverfängliche Spielart. "Bitte festhalten!" Lisa lacht lauthals. "Als emanzipierte, akademische Frau liebe ich Atemkontrolle." Die Sub schenkt ihrem Dom die Kontrolle über ihren Atem. Durch Daumendruck auf der Kehle, durch Drosselung mit Hilfsmitteln, oder im Wasser. "Es kickt mich ungemein, mich meinem Partner in der Badewanne ganz zu übereignen. Dass er bestimmt, ob ich den Kopf über oder unter Wasser habe." Der Mangel an Sauerstoff lässt Endorphine ausschießen, ein Dionysisches Fest der Hormone. "Es geht nicht um Bewusstlosigkeit oder Angst. Es geht um Nähe, um totale Nähe", sagt Lisa und schaut mir ein- dringlich in die Augen. "Das solltest du verstehen." Dafür müsse der Dom allerdings seine Verantwortung gewissenhaft wahrnehmen; Einverständnis, Respekt und Fürsorge garantieren. "Sonst ist er kein Dom", ergänzt Lisa. BDSM habe nichts, aber auch gar nichts mit sexueller Gewalt zu tun. Mehr noch, im Vergleich zum "normalen Blümchensex" sieht Lisa die Chance, im in der unverschleierten sexuellen Inszenierung von Hierarchie und Macht, Sensibilität und Präsenz beider zu vergrößern, den Dialog zu vertiefen, ihn vertiefen zu müssen. Denn: "Die Konsequenzen dieses Spiels sind ungleich größer. Pathetisch ausgedrückt lege ich als Sub mein Leben, körperlich und seelisch, in die Hände des dominanten Mitspielers." Für ihre Krebsoperation sucht Lisa sich das Krankenhaus aus, in dem ihr Geliebter als Arzt arbeitet, wenn auch auf einer anderen Station. Schon wieder hat sie Pech. "Als ich nach der Narkose aufwachte, war ich extrem aggressiv und davon überzeugt, dass eine der vielen Maschinen um mich herum, dabei ist, mich zu töten." Psychosen nach einer Narkose sind sehr selten. "Ich schrie und weinte, weil ich dachte, nach meinem Körper stirbt nun auch mein Geist." Die Schwestern fixieren Lisa am Bettgestell; Bondage, allerdings unter Zwang. Eine von ihnen holt geistesgegenwärtig den Doktor von der anderen Station, Lisas Dom. Er hält ihre Hand, sagt: "Du hast gerade keinen festen Punkt, das liegt an der Psychose. Ich will dein fester Punkt sein, dann kommst du da raus." Lisa zündet sich noch eine Zigarette an. "Mein ganzer Kosmos war in Bewegung geraten, ich hatte keinen Himmel mehr. Und plötzlich leuchtete ein Fixstern, von dem aus ich alles andere definieren konnte." Sie habe ihr Leben in diesem entscheidenden Moment aber nur deshalb in seine Hände legen können, weil sie vorher gemeinsam im sexuellen Spiel extreme Übungen zu Vertrauen und Kontrollverlust geprobt haben. Lisa lächelt leise. "Deshalb hat mein Dom mir das Leben gerettet."

OELE SCHMIDT

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