Es habe eine Zeit vor dem Journalismus gegeben, und es wird auch eine nach ihm geben, schrieb mal ein ZEIT-Kolumnist. Nun, das kommt darauf an, wie weit man den Begriff fasst: Die Verbreitung von Nachrichten gab es und wird es so lange geben, wie es sprachbegabte Wesen gibt. Doch der Zeitung wie wir sie kennen, gibt der Soziologe und Journalist Stefan Schulz höchstens noch 15 Jahre. Dann ist „Redaktionsschluss", so der Titel seines Buches. „Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen", lautet der wiederum vielsagende Titel eines Buchs des Leipziger Medienwissenschaftlers Uwe Krüger. Beide sind sich einig: Die große Nähe zwischen Politik und Journalismus, vor allen Dingen im „Raumschiff Berlin", sei ein Problem. „Man kann an den ersten Seiten der großen Zeitungen die Interessen Deutschlands ablesen", so Schulz. Gemeint ist der Staat, nicht der Bürger. Umgekehrt sagt Uwe Krüger: „Es geht nicht darum, dass wirklich Lügen in der Presse stehen. Es geht um die Perspektive: Viele Leute finden sich nicht wieder." Die beiden diskutierten am 5. April mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock im Café Central des Essener Grillo-Theaters – ein spannender und, für gute Zuhörer, sehr lehrreicher Abend.
Kuschelkurs Richtung Mainstream
Die erste Lektion ist ziemlich ernüchternd: Journalistische Schlampereien, wie das sorglose Abschreiben von Pressemitteilungen, das Ignorieren der Zwei-Quellen-Regel und Kuschelparties zwischen Korrespondenten und Politikern – das gibt es schon lange, wie Schulz mit Verweis auf einige Studien, teils aus den 70ern, klarmacht. Die Vertrauenskrise der Medien entwickelte sich allerdings unabhängig davon.
Woran liegt es dann? Sicher hilft da der Ansatz von Uwe Krüger weiter, der die Gleichförmigkeit der Meinungen in Leitmedien wie Süddeutsche, FAZ & Co. kritisiert. Unbequeme Journalisten hätten es nicht leicht in den Redaktionen heutzutage, so der Medienwissenschaftler. Er und Schulz kritisieren auch beide die „Milieu-Homogenität" im Journalismus: überwiegend akademisch, mit Wurzeln im Mittelstand.
Tyrock, immerhin Chefredakteur der größten Regionalzeitung Deutschlands, lasse sich durch die Bücher der beiden, die er mit Interesse gelesen habe, nicht aus der Ruhe bringen: Die Autoren, so Tyrock, sprechen in erster Linie von den großen Leitmedien – die Lokalzeitungen, „das Fundament der deutschen Medienbranche", würden anders funktionieren. Wiederholt stellte er klar, er sehe sich als „Anwalt der Leser". Wohl ein schizophrener Anwalt, in einer sich polarisierenden Gesellschaft? Das glaubt Tyrock nicht: „Wir müssen uns fragen: Was ist die Gemeinsamkeit all jener, die unsere Zeitung lesen? Was ist generationsübergreifend relevant?", antwortete er. Dazu gehöre ausdrücklich auch, am „Lack der Mächtigen zu kratzen."
Der Ungeist der Like-Geilheit
Apropos Macht: Natürlich ging es an dem Abend auch um Facebook und Google – denen viele Mediennutzer inzwischen mehr Objektivität attestieren, als den tradierten Medien. Zu Unrecht, wie Schulz klarstellt: „Google präsentiert seinen Algorithmus als ein Naturphänomen." Dabei filtern und gewichten Google und Facebook auch – bloß lassen sie sich dabei nicht in die Karten schauen. Der Ungeist der Like-Geilheit wirkt inzwischen auch über Facebook hinaus in die Köpfe von Redakteuren und Herausgebern, wie Schulz erläutert: „Man muss nicht auf Facebook gehen, um zu sehen, dass Facebook sich durchsetzt." Und auch wenn Tyrock betont, guter Journalismus lasse sich nicht an Klickzahlen messen: die wirtschaftliche Bedeutung der sozialen Medien ist nicht zu ignorieren. „Auch die Websites verlieren an Bedeutung – weil die User über die sozialen Netzwerke kommen", erklärt Tyrock.
Ob man, so wie Schulz, deshalb gleich in Ehrfurcht vor Google erstarren muss, sei dahingestellt. Der Mega-Konzern will künftig die Glaubwürdigkeit von Nachrichten bewerten – wie genau das gehen soll, ist fraglich, Schulz ist aber überzeugt, dass die Algorithmen das schaffen. Dabei forderte er doch selbst an diesem Abend: „Journalisten sollten wieder machen, was nur sie machen können." Recherchieren, Nachfragen, Texte schreiben, die die Menschen erreichen – das kann (leider) nicht jeder Journalist. Aber sicherlich kein einziger Algorithmus.
Der Abend war übrigens Teil der Reihe LesArt, veranstaltet von Deutschlandradio Kultur, der WAZ und der Buchhandlung Proust. Das Deutschlandradio Kultur sendet die Diskussion am morgigen Samstag, den 9. April, von 11.05 Uhr bis 12 Uhr.
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