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Kam nicht nach Bochum um zu segnen: Ulli Schauen (r.)
Foto: Kevin Vitt

Im Namen des Vetters

26. Juni 2015

Im Bahnhof Langendreer wurde am 25.6. über die Medienmacht der Kirche diskutiert

Tacheles-TV auf Phoenix, Gottesdienste auf ARD und ZDF oder die RTL-Bibelclips, sind nur einige Beispiele für die massenmediale Omnipräsenz der zwei großen christlichen Kirchen. Etwa 60% der Bundesbürger bekennen sich momentan zum christlichen Glauben. Unabhängig davon, ob etwa knapp 38% der Bürger inzwischen konfessionslos leben oder die katholische Kirche im letzten Jahr rund 118.000 Austritte zu verzeichnen hatte, werden die Sendezeiten für Kirchen-TV weiterhin gesetzlich geschützt. Für die Mehrzahl der Bürger scheint die Präsenz der Kirche nach wie vor etwas prinzipiell Positives zu sein, jedoch könnte genau hier das Problem liegen: Findet da wirklich noch eine wichtige Wertevermittlung statt oder geht es inzwischen nur noch um den sprichwörtlichen Machterhalt alter Männer? Wer finanziert eigentlich die teilweise aufwendigen TV-Produktionen und angesehen kirchlichen Journalistenschulen?

Das Kirchen-Programm scheint alles andere als transparent zu sein, was auch der Vortrag „Fromme Propaganda“ von Ulli Schauen und „Religionsfrei im Revier“ bestätigte. Der freie Journalist, u.a. für den WDR tätig, war 2010 mit seinem Buch „Das Kirchenhasser-Brevier“ erfolgreich. Wie er scherzhaft anmerkte, handle es sich dabei aber eher um ein „Selbsthasser-Brevier“, da die Medienkritik an dieser Stelle wohl schärfer ausfiel als die an der Kirche. In den 90er Jahren war Schauen selbst in einer Kirchenredaktion tätig. Solche sind, wie sich zeigen sollte, für moderne TV-, Rundfunk-, Radio- und Pressestationen keine Seltenheit, sondern machtvolle Instanzen. Seine Erfahrungen, „bestimmte Dinge die ihm dort auffielen“, trugen zum Erfolg seiner späteren Recherchen bei.

Eigene Journalisten

Warum muss die Kirche eigenständig Journalisten ausbilden? Schauen erwähnte hier z.B. Günther Jauch, der durch die Christliche Presseakademie (cpa) ausgebildet worden sei. Im Übrigen, so Schauen weiter, seien die Fragen und Abläufe in derartigen Talkrunden im Vorfeld abgesprochen. Ein relativ aktueller Ausschnitt Oskar Lafontaines bei Günther Jauch diente zur Veranschaulichung: „Die Kirche ist wichtig für die Wertevermittlung“, so der Staatsmann, der dabei ziemlich unbeholfen wirkte. Als weiteres Beispiel wurde der TV-Journalist Peter Hahne (ZDF) genannt. Hahne interviewte z.B. die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, ist dabei jedoch auch selbst EKD-Ratsmitglied. Beide kennen sich auch privat, wie Fotos von Schauen bestätigten. Von neutralem Journalismus könne hier keine Rede sein. Auch der NDR-Journalist und stellv. EKD-Ratsvorsitzender Uwe Michelsen gerät in Schauens Kritik. Michelsen bewerte die Kirche als „positiv und nicht kommerziell“ und sehe kein Problem darin, über diejenige Medienpolitik zu bestimmen, über die er dann auch als Journalist berichte. Nach weiteren, teils beängstigenden Beispielen ging es um die Verflechtungen zwischen Kirche, Medien und Staat. Schauen spricht hier von einer „Verfilzung“. Denn nicht nur die Kirchen infiltrierten private wie öffentlich-rechtliche Sender mit eigenen Journalisten, auch die Sender berieten im Gegenzug die Bischöfe. Dafür existiere sogar ein publizistischer Beraterkreis.

Scheinheilige Verkündungen

Im Gegensatz zu den gesetzlich manifestierten Sendezeiten für christliches Verkündungs-TV, liegt die Kostenübernahme zur Produktion dieser Formate auf Seiten der Kirchen. Dennoch würden, wie Schauen berichtete, die Aufwendungen seit fast 70 Jahren von den meisten Sendern, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, übernommen. Am Beispiel einer Szene aus der sog. TV-Spielfilm-Doku „Luther“, wurde anschließend gezeigt, dass außerdem historische Fakten verfälscht und negative Aspekte der Christenheit aufpoliert werden. Der Journalist erklärte, dass die Darstellung Luthers als ein von Reue geplagter Gutmensch, fernab von Antisemitismus und Hexenverbrennung, aus einer Ko-Produktion zwischen Kirche und öffentlich-rechtlichen Sendern entstand. Die Filmproduktionsfirma Eikon, deren Hauptgesellschafter wiederum die EKD ist, spielte dabei ebenfalls eine tragende Rolle. Eikon co-produziert u.a. auch die Filme der Krimiserie „Tatort“. Die Kirche scheint über einen Freifahrtschein ohne Ablaufdatum, für das deutsche Fernsehen zu verfügen. Laut Schauen sind es gerade die sozialen, ethischen und entwicklungstechnischen Themenfelder, die die Kirche medial ausschlachten will.

In der anschließenden Diskussion ging es dementsprechend um Religion als manipulative Ideologie, die sich inzwischen mehr um politisch motivierte Floskeln dreht als um Glauben, wie ein Gast bemerkte. Religiöse Motive würden missbraucht, hieß es weiter. Schauen selbst verwies noch auf einen anderen Punkt. Es würde einfach nicht gesehen, dass die Kirche die Medien nur nutze, um eigene Interessen zu verfolgen, wobei das kapitalistische Prinzip der Gewinnmaximierung nicht das unwichtigste sei. Durch die mangelnde Transparenz fällt es jedoch schwer, hier eine eindeutige Schuldzuweisung auszusprechen. Ist es die Kirche? Die Medien? Der Staat? Alle drei zusammen? Oder letztendlich doch der nicht reflektierende Bürger? Von letzteren gibt es nach dieser Veranstaltung zumindest ein paar weniger.

Kevin Vitt

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