Früher hieß es Propaganda, heute Public-Relations – auch die Methoden sind andere: Das Rednerpult vor Menschenmassen ist dem Hinterzimmergeflüster in Agenturen gewichen. Wer was will, und warum, wie öffentliche Meinung gemacht wird, das ist undurchsichtig geworden. Mit „Die Lügen der Sieger“ bringt Regisseur Christoph Hochhäusler den Komplex um Macht, Lobbyismus und Berichterstattung nun ins Kino. Der Polit-Thriller mit Florian David Fitz und Lilith Stangenberg feierte am 8.6. seine Deutschlandpremiere in der Essener Lichtburg.
War es das Topthema Medienkritik, das die Leute in das Premierenkino trieb? Sicherlich. Aber natürlich auch Hauptdarsteller und Publikumsliebling Fitz, Blickfang auf dem roten Teppich und begehrte Trophäe auf zahlreichen Selfies. Mit Blick auf den Film – nicht zu Unrecht: Fitz geht auf in seiner Rolle als journalistischer Cowboy Florian Goys, der sich zwischen Spielsucht und Egomanie voller Ehrgeiz in seinen Stories festbeißt. Im Film geht es um eine Recherche über die zweifelhafte Invalidenpolitik der Bundeswehr. Altbewährten Kino-Konventionen folgend bekommt er die hübsche Assistentin Nadja (Lilith Stangenberg) an die Seite gestellt.
Von der will der Macho mit Notizblock und Kugelschreiber natürlich erst nichts wissen – bis sie auf den Selbstmord eines Gelsenkirchener Chemiearbeiters stößt, der zuvor in Afghanistan gedient hat. Goys beißt an und merkt nicht, dass er einer falschen Spur nachgeht, gelegt von den PR-Agenten eines zwielichtigen Chemie-Konzerns.
Das Aufgreifen mancher Klischees schadet dem Film in seiner Gesamtheit aber nicht. Die kunstvolle Montage und der Schnitt erzählen den Teil der Geschichte, der sich ohne Wissen der Protagonisten entfaltet; die Kamera zeichnet Goys Treffen mit Informanten aus sicherer Entfernung auf, der Zuschauer wird zum Spion.
Eine ständige Verunsicherung, die aber nie in Paranoia abrutscht: Hochhäusler macht die Entstehung einer Story, von der Recherche über die Zuspitzung bis zum Titelblatt, nachvollziehbar. Als Goys und Nadja meinen, die Wahrheit hinter all den Indizien gefunden zu haben, schmeißen sie sich in der Redaktion den Ball zu, suchen die pfiffigste Umschreibung für den Suizid des Chemiearbeiters, während sie einander anflirten.
Hochhäusler hat für den Film in verschiedenen Redaktionen hospitiert, unter anderem beim Spiegel. Er kenne sich in der Branche aus, sagt er. Seine Hauptfigur Fabian Goys scheitert letzten Endes, doch den journalistischen Biss kann man ihm nicht absprechen – taugt er als Vorbild? „Auf jeden Fall hat er den sportlichen Ehrgeiz“, sagt Hochhäusler. „Was ihm aber fehlt ist der politische Horizont.“
Die Geschichte von Fabian Goys ist ein Anschauungsobjekt, an dem Hochhäusler dem Zuschauer zeigt, wie Meinung gemacht wird: „Und zwar nicht im Sinne von Lügen, sondern im Sinne einer Arbeit an einem Produkt“, sagt er. Und so hält „Die Lügen der Sieger“ die Balance zwischen stetiger Verunsicherung und dem Erklären und macht komplexe Mechanismen von Macht und Medien sichtbar.
Mit dem Ziel, die eine Frage zu stellen, die so harmlos in der Hotelszene in der Mitte des Films fällt: Als Goys sich an einem Wrestling-Kampf ergötzt, seiner Kollegin die verschiedenen Regeln und Positionen des Schaukampfes erklärt, die aber nur wissen will: „Ist das echt?“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Von Mainstream, Facebook und Kuschelkurs
LesArt-Diskussion über Medien im Café Central des Grillo Theaters am 5.4.
Pluralismus ertragen
Wie viel Freiheit gestehen wir einander zu?
Die Welt ist noch zu retten
„Perspective Daily“ will konstruktiven Journalismus im Netz bieten – Thema GUTE ZEIT 02/16
Harter Stoff und guter Tobak
CORRECT!V-Reporter Bastian Schlange liest am 15.8. im Rottstr 5 Theater
Im Namen des Vetters
Im Bahnhof Langendreer wurde am 25.6. über die Medienmacht der Kirche diskutiert
Wozu Journalismus?
Diskussion zum Journalismus mit WDR-Chefredakteurin Mikich am 4.5. in der Alten Druckerei Herne
Monopoly im Blätterwald
Die Konzentration in der Medienlandschaft gefährdet den Meinungspluralismus – THEMA 08/14 MEDIEN
Wer will schon „Klickvieh“ sein?
Das Internet- Zeitungsprojekt Krautreporter sucht neue Wege zur Finanzierung – Thema 08/14 Medien
„Immer öfter wird die digitale Ausgabe gelesen“
Pascal Beucker über die aktuelle Entwicklung der Presselandschaft – Thema 08/14 Medien
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Sieben Spitzenprämien-Gewinner
Kinoprogrammpreis-Verleihung in der Wolkenburg – Foyer 11/23
Verfilmung eines Bestsellerromans
„Die Mittagsfrau“ im Casablanca Bochum – Foyer 10/23
Mysteriöses auf schottischem Landsitz
„Der Pfau“ im Cinedom – Foyer 03/23
Alle Farben der Welt
37. Teddy-Award-Verleihung bei der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23
Endlich wieder gemeinsam feiern
Sommer-Branchentreff 2022 in der Wolkenburg – Foyer 06/22
Industrie im Wandel
„We Are All Detroit“ im Filmhaus – Foyer 05/22
Die Besten im Westen
Kinoprogrammpreisverleihung 2021 in der Wolkenburg – Foyer 10/21