Anfang Januar braucht es immer ein Korrektiv – nach Weihnachten, Silvester und Neujahrsvorsätzen. Es hat inzwischen Tradition, dass zum Jahreswechsel Liedermacher-Urgestein Götz Widmann in den Bahnhof Langendreer kommt. Auch dieses Jahr war sein Besuch kein Konzert, sondern ein Erlebnis. Wobei, wenn man es runter bricht, passiert hier eigentlich nicht so viel: Da steht ein Mann mit Gitarre auf der Bühne und singt; hauptsächlich vom Kiffen. Keine weiteren Gimmicks, nichts, was ein Veranstalter großmundig als „Live-Show“ ankündigen könnte – und trotzdem einer der besten Live-Acts die es hierzulande gibt.
Wobei der inzwischen 51-Jährige über jahrelange Bühnenerfahrung verfügt: Alles fing Anfang der 90er in einer Bonner Kneipe an, als er gemeinsam mit Partner Martin „Kleinti“ Simon und heiteren Hasch-Gesängen der Liedermacher-Szene, salopp gesagt, den Stock aus dem Arsch zog. Jener hat sich inzwischen wieder dorthin zurück geschlichen und das scheint offenbar nicht angenehm zu sein: Nicht umsonst widmen sich auch heutzutage die meisten Songwriter und Liedermacher ihren Schmerzen. Wie gesagt, nicht angenehm, auch nicht für den Hörer. Was schon damals das Geheimrezept von Joint Venture, so der Name des Duos, war: Humor und Lockerheit. Was aber nicht heißen muss, dass sich Widmann, seit dem Tod seines Partners im Jahr 2000 solo unterwegs, auf albernes Kiffer-Gedudel beschränkt.
Zugegeben: Widmann hat ein Repertoire an Kiffer-Liedern, nach dem sich jeder Rapper mit trockener Zunge die Finger lecken würde. Er besingt den ersten Haschisch-Toten Hank, ein Hafenarbeiter, der unter einer Schmuggelladung Haschisch begraben wurde. Die Lehre, die der Sänger daraus zieht: „Würd man Hasch legalisier'n, könnt' man's sich'rer transportier'n“. Dann ein Joint-Venture-Klassiker über Cannabis-Legalisierung. Und ein Song über den Drogenspürhund Eduard. Dann noch ein Song über Legalisierung. Das macht Laune, das entspannt, alles super.
Aber es verbirgt sich mehr in diesem Mann, der keck grinsend allein mit seiner Gitarre auf der Bühne steht: „Proletarier sucht Frau“ ist nicht nur ein witziges Gedankenspiel darüber, was wäre, „wenn das mit Gorbatschow und Reagan damals andersrum gelaufen wär'“ – es ist auch eine kritische und intelligente Bestandsaufnahme der Konsumwelt. „Zwei Trauben“ ist, trotz und wegen seiner scheinbar so beiläufigen und lapidaren Sprache, ein großartiges Liebeslied, dass auf vielen Ebenen funktioniert. Und „Eduard der Haschischhund“ ist ja auch ein Song über Tierschutz ... ach, nein, das ist wirklich nur ein witziger Kiffer-Song.
Aber eben diese Mischung macht den rauchigen Charme des „Sittenstrolchs“ (so der Titel seines jüngsten Albums) aus: Herz und Tiefgang, Message und Haltung – all das findet sich in den sympathischen kleinen Kiffer-Kleinoden, die Widmann singt. Bloß drängt er dies seinen Zuhörern nicht auf. Eigentlich steht da nur ein Mann auf der Bühne, freut sich des Lebens und singt. Das Publikum singt mit, grölt auch mal ein Wunschlied Richtung Bühne, Widmann reagiert spontan. Und auch wenn die Stimmung nach drei bis fünf heiteren Schnaps- und Haschliedern am Stück ausgelassen ist – wenn der Wind übers Kornfeld streicht, schweigt alles und lauscht. „Männer über 50 sind die besten“ heißt es auf einem Song auf Widmanns neuem Album. Stimmt das? Dieser Mann ist jedenfalls entspannter, lockerer und auch frecher als der Großteil seiner jüngeren Kollegen.
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