Kulturkontakt ist eine schöne und wichtige Sache – für einen politisch bewussten Menschen gibt es vermutlich nichts unverfänglicheres als ein Konzert afrikanischer MusikerInnnen, die den weiten Weg auf sich nehmen, um uns exotisch anmutende Vibes näher zu bringen. Vergessen wird, dass das jedes Mal ein kleiner Akt der Vergebung ist – die Lebensprobleme im Kongo und anderswo in Afrika sind verursacht von Konzernen, deren Produkte unser schönes Leben dekorieren, unterstützt von Politikern, die wir bei allem politischen Bewusstsein doch nicht loswerden. Für afrikanische Künstler eigentlich Grund genug, uns so zu sehen, wie wir die zu bösen Buben der Weltpolitik deklarierten Staaten rund um den Globus. Aber nichts da: Mit breitem Lächeln sagt Gasandjii „Danke sehr“ und nimmt die zahlreich erschienenen Besucher im Bahnhof Langendreer mit auf eine musikalische Reise Richtung Harmonie und Lebensfreude.
Der Abend, ein Doppelkonzert von ihr und Mou Kouyaté, beginnt mit einer sanften Ballade: Langsam rascheln Percussions wie sich sanft im Wind wiegende Grashalme. Erst als Gasandjii ihre unverwechselbare Stimme erhebt, geht der Sturm los – allerdings nie zu stürmisch, um nicht auch noch tanzen zu können. Überhaupt, tanzen: Während das Bochumer Publikum größtenteils noch warm werden muss, langsam zum Soul der Sängerin wippt, tanzt sich Gasandjii auf der Bühne schon in Ekstase. Sie wirkt ein wenig wie die große Schwester, die ihren jüngeren Geschwistern vormacht wie es geht, ihnen den nötigen Arschtritt gibt und sagt: „Tanz und schäm dich nicht dafür, hab Spaß!“ Nur eine Frage der Zeit, bis sich das Publikum anstecken ließ – so dass irgendwann auch die Sängerin selbst bei einem Stück in die Menge springt und gemeinsam mit ihren Fans tanzt.
„Wenn du es in deinem Körper hast, dann musst du es einfach mit anderen teilen“, sagt die Sängerin über ihre Musik. Dass sie afrikanische Traditionsmusik mit Soul, Reggae und Pop kombiniert, ist für sie besonders wichtig: „Das ist der Sound meiner Jugend – außerdem ist es sehr natürliche Musik.“
Natürlich bedeutet in diesem Fall: unverkopft, direkt, wie im Rausch. Langsam bauen sich die Stücke auf, nehmen an entscheidenden Stellen etwas Druck raus, um dann mit noch mehr Energie wieder Fahrt aufzunehmen. Was melancholisch beginnt, endet oft in ekstatischem Rhythmus und Gesang, jeder Song eine gemeinsame Reise Richtung Lebensfreude, zu grünen Tanz-Oasen durch stille Wüsten mit dezenter Instrumentierung.
Bei soviel Hitze auf der Bühne kam der Einstieg von Mou Kouyaté, dem zweiten Musiker des Abends, einem kühlenden Sommerregen gleich: Die Outfits eine kleine Verbeugung vor der Smartness alter Funk-Größen, der Sound ein Flirt zwischen afrikanischer Tradition und poppigem Soul. Und wie es so ein Sommerregen an sich hat, brachte Mou Kouyatés Auftritt nicht nur die nötige Abkühlung, sondern auch ein wenig Melancholie. Songs wie „Bé niala“ drücken süße Traurigkeit aus, auch ohne dass wir die Sprache verstehen.
Einen schöneren Effekt kann sich ein Musiker kaum wünschen: „Ich denke sowieso global“, sagt Gasandjii. Dass westliche Länder ihre Heimat ruinieren, kann die Frohnatur deshalb auch nicht wütend auf ein deutsches Publikum machen: „Ich schaue nicht auf Länder, ich schaue auf Menschen. Menschen, die respektlos zueinander sind – das ist das Problem, egal ob im Kongo, in Frankreich oder hier in Deutschland“, sagt sie. Und so ist natürlich jeder zur musikalischen Reise mit ihr und Mou Kouyaté eingeladen. Danke sehr.
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