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Bräutigam bei der Hochzeit: enthemmt
Foto: Sebastian Hoppe

Fröhlicher Sarkasmus

28. Januar 2016

Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ in Düsseldorf – Theater Ruhr 02/16

Wer heute in einer Beziehung lebt, ist voll in die Retrofalle getappt. Familie ist in, Heiraten sowieso. Doch die Ehe und Familie stehen unter Druck: Individualisierung, Mobilität, Flexibilität – was das neoliberale Herz eben so begehrt. Doch wenn alles ins Rutschen gerät, braucht die bürgerliche Seele Bremssocken. In der Wiederkehr von Familie und Ehe liegt auch eine Beschwörung von Konstanz – gegen die Volatilität des gesellschaftlichen Lebens. Die Auffassungen, was Ehe und Familie sei, haben sich trotzdem erheblich gewandelt – und schon deshalb trifft Brechts Stück „Die Kleinbürgerhochzeit“ heute kaum noch die gesellschaftliche Realität. Was hier mit der schwangeren Braut, ihrem lasziven Tanz mit dem Freund des Bräutigams oder den Streitereien eines bereits verheirateten Paares angedeutet wird – das ist Normalität. So what. Brechts satirischer Hieb auf heuchlerische Kleinbürgerpraktiken entwickelt die Kraft eines moralkritischen Rohrkrepierers. Mehr als Comedy und Slapstick ist aus der Vorlage kaum noch rauszuholen.

Auf der aufgeständerten Bühne im Düsseldorfer Central, die mit Hühnerleitern erklommen wird, sind drei Tische aufgebaut. Im Hintergrund ein Sofa und ein Schrank. Musikalische Toasts werden ausgebracht. Doch kaum sitzt man bei Tisch, geht das Generve los. Der Brautvater (Marcus Calvin) will mit jovialer Penetranz immer neue anzügliche bis widerliche Geschichten erzählen, während die Mutter des Bräutigams (Christiane Rossbach) matronenhaft-überfürsorglich den Sohn betütelt und sich ihrer Götterspeisenemphase hingibt. Beide fallen in die Kategorie Brauteltern als Kalauer betrachtet. Überzeugend in ihrer schäbigen Boshaftigkeit und Tiefschlagfertigkeit Louisa Stroux als Freundin der Braut. Wie sie im blauen Abendkleid ständig Gift versprüht, hat den Charme des Boulevards. Ihr Mann (Lutz Wessel) fungiert dabei als ehelicher Sparringspartner mit weinerlichen Nehmerqualitäten. Irgendwie lässt an dem Abend jeder mal jeden im Regen stehen. Dirk Ossig als Freund des Bräutigams gibt die schmierig-handfeste Schmalzlocke, die die Braut tanzend auf die Bretter legt. Hanna Werth als Schwester der Braut und Dominik Raneburger als junger Mann treiben es gleich in der Küche.

Regisseur Hans-Ulrich Becker geht den Abend mit gemütlichem Tempo an, was dann immerhin Steigerungspotential für den Wahnwitz zulässt. Der manifestiert sich in den allmählich zusammenbrechenden Möbeln, die der Bräutigam stolz selbst gezimmert hat. Dass Brecht damit das private Handwerkerethos, das angeblich Identitätsstiftende des Selbstgemachten und den Affekt gegen industrielle Fertigung kritisiert, ist allerdings angesichts von IKEA und Manufactum nur zum Abwinken. Es bleibt Slapstick ohne Biss – auch wenn sukzessive die ganze Einrichtung zu Bruch geht. Am Ende schweißt die Katastrophe den beflissen-genervten Bräutigam (Moritz von Treuenfels) und die handfeste Braut (Viola Pobitschka) in fröhlichem Sarkasmus erst zusammen. Es bleibt ein netter, etwas betulicher Abend, der niemanden wirklich erschreckt.

„Die Kleinbürgerhochzeit“ | R: Hans-Ulrich Becker | 5.2., 25.2. je 20 Uhr, 7.2., 14.2. je 18.30 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 85 23 710

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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