„Es befinden sich weltweit über 550 Millionen Schusswaffen in Umlauf. Das heißt, auf diesem Planeten hat jeder zwölfte Mensch eine Schusswaffe. Das führt zu der einen Frage: Wie bewaffnet man die anderen elf?“ So eröffnet Protagonist Yuri Orlov „Lord of War“, einen bitterbösen Spielfilm über den internationalen, illegalen Waffenhandel. Diesen zu verurteilen fällt nicht schwer. Für die Dealer der tödlichen Waren zählt nicht das Motiv, sondern die finanzielle Liquidität der Empfänger.
Schwieriger ist es da, ein Urteil über den legalen Waffenhandel, auch Rüstungsexport genannt, zu fällen. Immerhin ist Deutschland nach den USA und China der weltweit drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern und Kriegsmaschinerie. Die freie Meinungsbildung zur Causa des legalen Waffenhandels wird dadurch erschwert, dass die Entscheidungen über Rüstungsexporte in Deutschland für die Öffentlichkeit nicht transparent sind. Der Bundessicherheitsrat, der sich aus der Kanzlerin und acht weiteren Mitgliedern, darunter Verteidigungs-, Außen-, Finanz- und Wirtschaftsminister zusammensetzt, entscheidet im stillen Kämmerlein über Rüstungsgeschäfte, Parlament und Volk werden danach vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch die Klage der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul konnte daran nichts ändern. Am 21.10.2014 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Regierung weiterhin keine Auskünfte über noch nicht genehmigte Rüstungsexporte geben müsse: „Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge“, heißt es in Karlsruhe. Diese Klage und die Debatte um fragwürdige Waffengeschäfte haben ihren Ursprung in der Lieferung deutscher Panzer nach Saudi-Arabien – ein Regime, das nicht unbedingt als Bollwerk für die Durchsetzung von Menschenrechten im Nahen Osten gilt. Aber erst am Sonderfall der kurdischen Peschmerga-Kämpfer, die im September dieses Jahres durch die Bundesregierung beschlossen wurde, offenbart sich die eigentliche Krux. Hier geht es nicht nur um eine ökonomische, juristische oder moralische Bewertung, sondern im Kern um die Frage, ob man Frieden überhaupt mit Waffengewalt erzwingen und auch aufrechterhalten soll und kann.
Die Befürworter geben zu bedenken, dass in akuten Situationen manchmal nur noch Waffengewalt das Leben vieler Menschen zu retten imstande ist. Daniel Cohn-Bendit bemerkte vor einiger Zeit in der taz: „Es gibt historische Momente, so traurig das ist, wo Waffen die einzige Möglichkeit sind, um zu überleben.“, überstrapazierte das Argument aber mit dem Zusatz, dass auch der Aufstand im Warschauer Ghetto schließlich Waffen gebraucht habe. Ähnliche Totschlagargumente sind Verweise wie der, dass Nazideutschland kaum ohne Waffengewalt hätte besiegt werden können oder dass gegen Maschinengewehre keine menschlichen Lichterketten und Peace-Fahnen helfen würden. All dies klingt verdächtig nach Waffenlobbyist Wayne LaPierre und seiner Losung: Das Einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Mensch mit einer Waffe.
Und die Gegner? Deren Argumente klingen längst nicht immer wie von bekifften Hippies. Sie verweisen z.B. auf die Gefahr, dass Waffen in die falschen Hände fallen könnten. Diese ist nicht so buchstäblich zu verstehen wie der Vorfall am 22.10., als eines von 28 Paketen, die US-Militärs über Kobane zur Unterstützung der kurdischen Armee abgeworfen hatten, in die Hände des IS fiel. Die Gotteskrieger kämpfen aber häufig schon mit besseren Waffen, die sie auch auf Militärstützpunkten der irakischen Armee erbeutet haben, die wiederum zuvor von den USA ausgestattet wurde. Ein weiteres Gegenargument ist die Unabsehbarkeit der Folgen, gepaart mit der Langlebigkeit der Waffen. Ob die Kurden beispielsweise ihre Waffen irgendwann artig abgeben oder noch Jahrzehnte für die Durchsetzung der eigenen Interessen damit kämpfen werden, wird sich zeigen. Und ob Deutschland ausgerechnet durch Waffenlieferung seiner Verantwortung gerecht wird oder andere die Drecksarbeit erledigen lässt, liegt im Auge des Betrachters.
Hier Stellung zu beziehen ist also nicht leicht. Sogar Gregor Gysi, dessen Partei ja bekanntlich konsequent gegen Rüstungsexporte ist, stolperte im Sommer über diese Frage. Bei den berechtigten Einwänden sollten wir vielmehr ins Grübeln kommen, ob „Ja“ oder „Nein“ zu Waffenlieferungen, insbesondere in Krisengebiete, überhaupt die einzig richtigen Antworten sind. Vielleicht geht es gar nicht darum, ob man Frieden nur mit oder ohne Waffen schaffen kann, sondern ob uns im 21. Jahrhundert denn wirklich gar nichts Besseres einfällt. Was wir brauchen sind Alternativen, nicht noch mehr Waffen.
Stockholm International Peace Research Institute, Jahrbuch 2013: www.sipri.org/yearbook/2014/05
http://www.tagesschau.de/inland/ruestungspolitik-103.html
„Deutsche Waffen für die Kurden?“, in: taz, 19.08. http://www.taz.de/!144469/
Aktiv im Thema
www.dfg-vk.de/willkommen/
www.koop-frieden.de/
www.friedensbildungswerk.de/
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