Der Überraschungshit „Systemsprenger“ warf bereits einen intensiven und authentischen Blick auf das Leben in einer Wohngruppe. Viele psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen liegen in Fragen der Erziehung respektive der Überforderung bei der Erziehung begründet. Auf diese Umstände machen auch die Betreuer und Erzieher in Daniel Abmas sehenswertem Dokumentarfilm „Im Prinzip Familie“ aufmerksam, die sich tagtäglich mit vernachlässigten oder misshandelten Kindern beschäftigen und dabei durchaus Verständnis für die Gewaltausbrüche ihrer Schützlinge entwickelt haben. Sie treten in ihren Jobs auch dafür ein, dass Gewaltspiralen durchbrochen werden und die Kinder Werte vermittelt bekommen, die im Idealfall fortan ihr Leben bestimmen. Die exemplarische Wohngruppe, die Daniel Abma („Autobahn“) für seinen Dokumentarfilm mit der Kamera begleitet hat, besteht aus rund einem halben Dutzend Kindern und ungefähr genauso vielen Erziehern. In unkommentierten Bildern kann man hier Einblicke in den arbeitsintensiven Alltag in einer solchen Wohngruppe erhalten. Hürden entstehen, wenn leibliche Eltern es an der nötigen Kooperation mangeln lassen und ihre Kinder dadurch ein ums andere Mal enttäuscht zurücklassen. Die Kamera von Johannes Praus ist immer nah dran am Geschehen und kann die emotionalen Achterbahnfahrten der Beteiligten stets hautnah einfangen. In einigen intimeren Momenten hingegen bleibt sie auf sensible Weise auf Distanz und somit Zaungast der Entwicklungen, was den Respekt vor den beteiligten Personen unterstreicht. „Im Prinzip Familie“ ist sicherlich kein allgemein gültiger Film zum Thema Wohngruppe, aber die in diesem Film vorgestellten Sozialarbeiter sind fraglos Musterbeispiele ihres Berufs, die als Vorbilder dienen können.
Schon 2008 nahm sich Martin Provost mit „Séraphine“ dem Leben einer bis dahin eher unbekannten französischen Künstlerin an. In „Die Bonnards - Malen und Lieben“ widmet er sich erneut einer französischen Künstlerin, die jedoch vorrangig als die Muse ihres Mannes bekannt ist: Marthe Bonnard, geborene Maria Boursin. Der Film beginnt im Jahr 1893 mit dem Kennenlernen von Pierre und Marthe, zeichnet ihre Beziehung über vier Jahrzehnte bis zum Tod von Marthe nach und fokussiert das Zusammenspiel der beiden, auf künstlerischer wie auf romantischer Ebene. Provost gibt Marthe und ihrer Entwicklung von der Muse zur eigenständig schaffenden Künstlerin ebenso viel Raum wie Pierre und seiner Malerei. So entsteht ein sinnliches Porträt, das mit Feingefühl die Wechselwirkung zwischen Kunst und Liebe auslotet.
„Die Musik überlebt uns“ – dessen ist sich Komponist Jean sicher, selbst wenn die Musik allein nicht zu reichen scheint, um seine Familie zu ernähren. Dabei hat er sich zur Aufgabe gemacht, ein Musikstück über genau das zu schreiben, was in einer lauten Welt so schwer zu finden ist: die Stille. Neben den vielen Gegensätzen geht es im Film „Chaos und Stille“ von Regisseur Anatol Schuster auch darum, die Zwischentöne aufzuspüren. Hier scheinen es vor allem die Menschen am Rande der Gesellschaft zu sein, wie die eigensinnige Vermieterin Klara, die für ihre Sehnsucht nach Menschlichkeit „verehrt und verstoßen“ werden. Trotz vielen skurrilen und mitunter komischen Momenten zeichnet der Film mit Feingefühl die unterschiedlichsten Charaktere und schafft aus vielen Klängen eine Gesamtkomposition.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: der mit dem Deutschen Filmpreis prämierte Kinderfilm „Akiko – Der fliegende Affe“ von Veit Helmer, die Neuverfilmung „The Wedding Banquet“ von Andrew Ahn, die brachiale Aschenputtel-Satire „The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt und das Action-Spin-off „From the World of John Wick: Ballerina“ von Len Wiseman.
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