
Mit einem Tiger schlafen
Österreich 2024, Laufzeit: 107 Min., FSK 12
Regie: Anja Salomonowitz
Darsteller: Birgit Minichmayr, Johanna Orsini-Rosenberg, Oskar Haag
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Bemerkenswert anmutiges Künstlerin-Drama
Ganz nah dran
„Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz
Geboren am 8.9.1919 in Kärnten, wächst die kleine Maria vernachlässigt bei ihrer Großmutter im Bauernhaus auf. Mit sechs zieht sie zur Mutter nach Klagenfurt. Schon früh offenbart sich ihr zeichnerisches Talent. 1941 schließlich studiert die inzwischen ausgebildete Volksschullehrerin an der Wiener Akademie der Künste die Malerei – schlechte Zeiten für ihre expressive Herangehensweise. Doch die Loslösung vom Gegenständlichen und insbesondere die Darstellung des Körpergefühls erwächst über den Krieg hinaus zu ihrer künstlerischen Ausrichtung. Ihr Weg führt über Paris, wo sie nicht ankommt, bis nach New York. Auch dort stößt sie auf Befremdung und widmet sich dem Trickfilm, dem sie sich auch zurück in Wien verschreibt. Erst spät, aber endlich, erlangt die an Depressionen leidende Künstlerin Maria Lassnig Anerkennung.
Regisseurin und Drehbuchautorin Anja Salomonowitz nähert sich Maria Lassnig über das, was sie ausmachte: über die Emotion, über das Erleben, über das Erspüren. Birgit Minichmayr ist Maria Lassnig durch und durch. Das filmische Konzept unterstützt dies konsequent: Minichmayr spielt die Künstlerin in allen Lebensphasen, vom jungen Mädchen bis zur 94-Jährigen, ohne kolossale Maske oder digitale Verfremdung. Weil es weder Maske noch Verfremdung bedarf. Dieses Biopic verzichtet auf Hokuspokus, und es leiert auch nicht bloß möglichst ergreifend die bekannten Lebensstationen seiner Protagonistin herunter. Dieses Künsterinnen-Drama bleibt bei der Künstlerin. Ergründet ihr Körpergefühl, ihre Seele und deren Kreationen. Kreationen, mit denen Lassnig ihr Inneres nach außen kehrt. Auf die Leinwand. Im Atelier. Salomonowitz zeigt Lassnig hier bedächtig ruhend vor oder auf der Leinwand, lauernd auf den Impuls für den ersten Pinselstrich. Wenn sie, tief in sich gekehrt, sinniert und spürt. Wenn etwas wirkt und wächst. Wenn Lassnig die richtige Farbe findet. Salomonowitz zeigt weniger das Leben rund um die Kunst, sie macht vielmehr den Entstehungsprozess der Kunst erfahrbar. Einen ähnliches Konzept verfolgte zuletzt Ben Becker, als er unter Oliver Hirschbiegel in „Der Maler“ den Künstler Alber Oehlen spielte. Ein gelungener Ansatz, der hinter diesem Werk hier aber nur verblassen kann. Dort laut, hier leise. Dort eitle Satire, hier demütige Annäherung. Tiefe. Essenz.
„Ich male meine Gefühle. Ich versuche, mir meiner Gefühle bewusst zu werden, sie aus meinem Inneren heraus zu kehren“, erklärt sich Lassnig einem Galeristen in New York. Der findet das alles bloß „strange“ und „morbid“. Ihre Gefühle entsprechen oft Leid und Kränkungen, sie entspringen fehlender Wertschätzung, Bevormundung, Ignoranz. Der Film macht die Gefühle erfahrbar und bindet dazu assoziativ einzelne Werke Lassnigs ein. Neben Gemälden auch mal einen Trickfilm. Kunstwerke, die ein Körpergefühl abbilden, oder, wie Lassnig es seit den 1970ern nennt: Body Awareness. „Mit einem Tiger schlafen“ ist Body Awareness. Dank der Herangehensweise von Salomonowitz. Dank Birgit Minichmayr.
Salomonowitz geht nah dran. Dafür sprengt sie mitunter die vierte Wand, wenn sie Protagonist:innen unvermittelt zu uns in die Kamera sprechen lässt. Sie spielt mit surrealen Elementen, wenn der Künstlerin auf dem Bürgersteig Ameisen zu Hilfe eilen – eine amüsante Szene, die hier allerdings als einzige ihrer Art etwas verloren wirkt. Man könnte noch bemängeln, dass die Beziehung Lassnigs mit dem zehn Jahre jüngeren Arnulf Rainer (Oskar Haag) etwas oberflächlich behandelt bleibt. Und dass sich der Film im letzten Drittel arg in der Verbitterung windet, anstatt noch mehr den künstlerischen Ansatz zu vertiefen. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Denn im Hinblick auf das Wesentliche ist dieses Drama verwandten Werken schon nach der ersten halben Stunde weit voraus. Und er hat die Minichmayr, die hier abschließend vorsichtshalber noch einmal gelobt sei für ihre Performance – falls noch nicht genug geschehen. Body Awareness!
(Hartmut Ernst)

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